Wenn Eltern ihre Kinder der Schulpflicht entziehen, stellt dies einen Sorgerechtsmissbrauch dar. Diesem kann mit dem Sorgerechtsentzug begegnet werden.
Das hat der BGH jetzt entschieden.
Dies gilt auch für die Fälle, wenn das Handeln der Eltern religiös motiviert ist.
Ausführlich habe ich die Entscheidung in meinem Rechtsprechungsblog dargestellt.
Homeschooling:
Sorgerechtsentzug in Deutschland – Prämien in Kanada
Zur Mitteilung des BGH Nr. 175/2007 vom 16.11.2007
Von Jan Edel
In seiner fast beiläufigen Mitteilung bestätigte endlich der Bundesgerichtshof am 16.11.2007, dass Homeschooling, also Bildung ohne Schulbesuch, eine Kindeswohlgefährdung darstellt, die nach deutschem Recht den Sorgerechtsentzug für Eltern zur Folge hat, die diese Bildungsform unterstützen.
Machen sich nach dem Karlsruher Richterspruch nun alle Eltern der weltweit etwa 3 Mio. selbstständig lernenden Schüler einer Kindeswohlgefährdung schuldig? Während von Deutschland Diskriminierung ausgeht, fördern vielen Staaten die Eltern, die den eigenen Bildungsansatz ihrer Kinder tragen – z.B. in Kanada mit eintausend Dollar pro Jahr und Schulkind. Es gibt auch Länder, in denen Homeschooling vom Staat „nur“ geduldet wird. Aber kein freies Land der Welt konstruiert bei Homeschooling eine Kindeswohlgefährdung oder rechtfertigt einen Sorgerechtsentzug. Sind alle diese Staaten deshalb durch gefährliche fundamentalistische Parallelgesellschaften bedroht? Selbst die Slowakei hat jetzt als vorletztes Land innerhalb der EU in einer Gesetznovelle beschlossen[1], Homeschooling ab 2008 zu legalisieren. Was ist los in Deutschland? Warum heißt Schulpflicht ausgerechnet in der Mitte Europas noch Schuldiktat und Institutionszwang?
Aus dem Jahre 1943, als in Deutschland noch Diktatur herrschte und 5 Jahre zuvor der strafbewehrte Schulzwang eingeführt wurde, stammt von der US-Juristin Isabel Paterson folgendes Zitat: “ Das steuerfinanzierte Pflichtschulsystem ist das komplette Modell eines totalitären Staates“. Weiter so, Deutschland?
Ob Eltern Gutmenschen oder Kinderschänder sind sollte nicht am Schulbesuch ihrer Kinder gemessen werden.
Da gibt es z.B. Eltern wie Neubronners aus Bremen, die ihren Kindern zu guten Abschlüssen verhelfen, weil diese in den verschiedenen Schulen nicht zurecht kommen und lieber zu Hause lernen. Einige hundert dieser deutschen Familien sind wegen der sonderlichen Schulpflicht längst ausgewandert. Nun gilt auch für Neubronners unmissverständlich: Raus! Leider ist damit ihre Heimat betroffen und nicht die Schule. Folgerichtig nach dieser höchstrichterlichen Festlegung wäre jetzt, auch den Eltern von über 600.000 komplett schulschwänzenden Kindern und Jugendlichen in Deutschland das Sorgerecht zu entziehen – eigentlich noch vor allen bildungsnahen Eltern.
Dieselben Richter ergänzen, dies gelte „so lange, als der Staat seinem Erziehungsauftrag im Sinne des Grundgesetzes verantwortungsvoll nachkommt“, und behaupten Lernforschern und Studien über Mobbing zum Trotz „Gegenteiliges sei hier nicht der Fall“. Es kommt der Verdacht auf, es habe sich bis zum BGH noch nicht herumgesprochen, dass der Auftrag der Erziehung von Kindern ausschließlich in Artikel 6 des Grundgesetzes genannt wird, der von der Rolle der Familie und der Eltern im Staat handelt. Erst Artikel 7 soll die staatliche Kontrolle über Bildung und Kinder hergeben. Stattdessen geht es dort aber um ein bereitzustellendes Schulwesen und um die Aufsicht darüber. Von einem „Erziehungsauftrag“ ist dort keine Rede, schon gar nicht von einem „staatlichen“.
Wenn das höchste deutsche Gericht Schulbildung ohne den Besuch einer Schule pauschal als das Kindeswohl gefährdend ansieht, müssen wir uns dringend eine Kurskorrektur der internationalen Gemeinschaft gefallen lassen. Der UN-Sekretär für Bildung, Prof. Dr. Muňoz hat Anfang 2007 ein klares Angebot[2] dazu gemacht, als er „Klagen über Drohungen mit dem Entzug des elterlichen Sorgerechts“ aufgrund von Kindern feststellte, die „in ‚homeschooling’-Modellen unterrichtet werden“. In seinem Bericht heißt es unter Anderem: „Alternativen wie Fernunterricht und ‚homeschooling’ sind mögliche Optionen, die unter gewissen Umständen in Betracht kommen“. Der Bildungs- und Rechtsexperte forderte: „Die Förderung und Stärkung des öffentlichen und staatlich finanzierten Bildungssystems darf nicht dazu führen, Modelle ohne physische Präsenz im Schulgebäude anzuprangern“.
Homeschooling kann für viele Kinder bessere Chancen bedeuten, wenn sie Möglichkeiten der nicht (immer) an Institutionen gekoppelten Bildung mit nahen Erwachsenen hätten. Menschliche Nähe und starke Beziehungen sind der Schlüssel zu sinnstiftendem und erfolgreichem Lernen – übrigens nicht nur zuhause.
Nie mehr darf Schulpflicht staatlich missbraucht werden.
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[1] Lt. einer Bestätigung der slowakischen Botschaft in Wien vom 13.11.2007
[2] siehe UN-Bericht unter http://www.homeschooling.de/genf.htm
Quellen:
http://www.homeschooling.de
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Das Gericht hat sich in seiner Entscheidung mit der pädagogischen Eignung der Mutter auseinandergesetzt. Im entschiedenen Fall war die Mutter nicht pädagogisch vorgebildet.
Ein weiteres Argument ergab sich auch aus der Rechtsprechung des BVerfG.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es auch in Deutschland Möglichkeiten außerhalb der öffentlichen Schulen zur schulischen Bildung gibt.
Nochmals: es handelt sich im entschiedenen Falle nicht um einen pauschalen Sorgerechtsentzug, wie der Kommentar glauben machen möchte. Es empfiehlt sich, die ganze Entscheidung zu betrachten.
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Schon die Auseinandersetzung des Gerichts mit der Frage, ob die Mutter pädagogisch vor- und/oder ausgebildet ist, ist äußerst fragwürdig. Eine Mutter braucht keine staatliche Anerkennung; Elternrechte sind vorstaatlich. Die Qualitäten einer guten Mutter – und selbst eine schlechte Mutter ist nachweisbar fast ausnahmslos besser als gar keine – sind letzten Endes nicht objektivierbar. Für die Bildung von Kindern braucht es keine gebildeten Eltern. Dies ist ausführlich untersucht von Alan Thomas in seiner Studie zu Homeschooling und Unschooling (siehe auch ISBN 978-3-940596-00-0).
Die unbewiesene Vorstellung des BGH, daß dadurch gar das Kindeswohl gefährdet sei, ist gefährlich irreführend. Vielmehr gefährdet viel zu oft gerade der Schulbesuch das Kindeswohl in vielerlei Hinsicht. Und das millionenfach!
Es ist auch falsch, daß es in Deutschland außerschulische Bildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche gibt. In Deutschland ist gesetzmäßig eine angebliche Schulpflicht postuliert und wird Schulzwang angewendet. Die Einführung von staatlichem Schulzwang in Deutschland jährt sich im übrigen in diesem Jahr zum 70-ten Male. Das Recht von Kindern und Jugendlichen, aber auch das ihrer Eltern, ihren Aufenthalt zu bestimmen, ist von Staats wegen rechtswidrig eingeschränkt. Und auch Privatschulen unterliegen „öffentlich-rechtlicher“ Maßregelung, sind mithin Teil des Systems, insbesondere werden auch hier Kinder kollektiv beschult. Man stelle sich nur vor, es gäbe ein Gesetz, welches Erwachsene zwingt, ausschließlich in Großraumbüros zu arbeiten. Und dabei herrschen in zu vielen Schulen Bedingungen, die die Berufsgenossenschaft privaten Großraumbüros nicht durchgehen lassen würde.
Das Urteil ist leider ein deutlicher und extrem gefährlicher Rückschritt, der sicher auch beabsichtigt war. Denn bisher gab es keine gesetzliche und keine höchstrichterliche Grundlage für die gängige und dokumentierte Praxis verschiedener Schul- und Jugendämter Schulverweigerung (ein Wort wie Vergewaltigungsverweigerung) unter Kindeswohlgefährdung zu subsumieren. Dem wurde „abgeholfen“: und genau das war meines Erachtens auch beabsichtigt. Es ist leider ein Nachteil sowohl des staatlich-monopolisierten Bildungssystems wie auch der papiergesetzlichen „Schulpflicht“, daß weder außerhalb schulischer Bildung gedacht werden kann noch Alternativangebote etablierbar sind. So brät denn alles seit Jahrzehnten im selben Saft und von allen Reformen im System bleiben nur die Nachteile derselben. Anstatt von einer Reform zur nächsten zu jagen, wäre es besser, parallele Entwicklungen in einem freien Bildungswesen zu haben, die verschiedensten menschlichen Gegebenheiten gerecht werden und die in ihrer jeweiligen Form dann auch konstant bleiben könnten. Statt alle Jahre wieder alles für alle zu ändern, könnte so für jeden das passende Angebot gewählt werden. Wir fahren ja auch nicht alle Trabbi. Erst wenn man gründlich bedenkt, was die „Schulpflicht“ alles Gutes verhindert, wird klar, daß die Anwendung gar von Schulzwang ein Verbrechen ist. Das mag 1938 zur damaligen nationalsozialistischen Herrschaft gepaßt haben, ins Jahr 2008 paßt es für meinen Geschmack so wenig wie die Causa Erlangen, bei der ein 15-jähriges Mädchen von 15 Polizisten „abgeholt“ wurde. So etwas braucht kein Mensch. Aber es besteht die Gefahr, daß mit der Novellierung des FGG der Zug wieder stärker in diese Richtung geht – und in diesem Kontext hat das BGH-Urteil einen ganz üblen Geschmack und eben auch eine solche Wirkung. So hat – aufgrund dieses Urteiles – das Land Bayern bereits gegenüber den Landräten verschärfte Kontrollen angewiesen und in der Causa Altensteig verstieg sich ein Bürgermeister und ein Gericht sogar zu einem teilweisen Sorgerechtsentzug, obschon die betroffene Familie bereits nach England geflohen war. So geht das nicht weiter. Es wird Zeit für Bildungsvielfalt und Bildungsfreiheit, auch für junge Menschen.
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