„Pedo-Hunters“: das Internet – der Missbrauch – die Kinder

Auf vice.com ist jüngst ein Artikel über „Pedo Hunters“ erschienen. Unter dem Titel „Wie selbsternannte Pädophilenjäger Schaden anrichten“ wird dargestellt, warum es problematisch sei, dass diese Gruppe, die von einem ehemaligen Bundespolizisten und UFC-Kämpfer angeführt wird, im Internet Jagd auf pädophile Menschen macht und Videos davon auf YouTube veröffentlicht.

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Hierzu möchte ich ein paar weitere Anmerkungen machen:

An dieser Stelle treffen zwei Phänomene aufeinander: Zum Einen steht der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen vermutlich in der öffentlichen Meinung an ziemlich oberster Stelle, wenn es darum geht, die verachtenswertesten Formen der zwischenmenschlichen Kriminalität einem Ranking zu unterwerfen. (Hiervon abgesehen seien ausdrücklich alle Formen staatlicher, staatlich mindestens tolerierter und staatlich verordneter Kriminalität wie Genozide, Völkermorde, Kriegsverbrechen aller Art. Es geht hier keineswegs um eine wie auch immer geartete Relativierung von Verbrechen, sondern um die „Bewertung“ von Kriminalitätserscheinungen innerhalb einer Gesellschaft).

Daraus folgt nun, dass bei der Verfolgung und Ahnung von Taten, bei denen Kinder und Jugendliche sexuellen Begehren und/oder Handlungen anderer ausgesetzt sind, die Toleranzschwelle in der Bevölkerung besonders gering ist. Beispielhaft sei an dieser Stelle die mediale Aufmerksamkeit nach dem Offenbarwerden des Missbrauchsfalles von Münster genannt. Hier hat nicht zuletzt der mediale Druck von BILD und anderen dafür gesorgt, dass die Justizministerin Lamprecht innerhalb weniger Tage ihre Meinung änderte und – gegen alle Stimmen aus den Rechts- und Kriminalwissenschaften – eine Verschärfung des materiellen Strafrechts auf den Weg brachte.

Auf der anderen Seite steht das Internet als Tatwerkzeug. Dabei braucht es gar nicht um das Darknet und seine Market-Places gehen, auf denen kinderpornographisches Material zum Tausch angeboten wird. Das Internet ist zum allgegenwärtigen Begleiter der allermeisten Menschen in unserem Land geworden: Messengerdienste, SocialMedia-Plattformen und vieles mehr sind rund um die Uhr ohne Schwierigkeiten verfügbar. Dabei geht es nicht nur um die Verfügbarkeit von Angeboten, sondern eben auch um die Möglichkeiten, selbst schnell eintreffende Informationen durch likes und Teilen-Buttons seinem virtuellen Freundeskreis mitzuteilen. So leicht, wie Informationen geteilt werden können (und damit auch dem digitalen Narzissmus jedes Einzelnen gefrönt werden kann), so leicht ist es auch, Menschen in diversen Netzwerken ausfindig zu machen.

Die Problematik, dass Kinder und Jugendliche durch solche Netzwerke leicht ansprechbar sind, ist bekannt. Die Gefährdungslage, die sich für diese hieraus ergibt, eigentlich auch. Die Wege, wie diese Kinder und Jugendlichen vor diesen Gefahren geschützt werden können, sind Gegenstand permanenter Diskussionen, wissenschaftlicher Erhebungen und einer laufenden Flut von Neuauflagen von Ratgebern für Kinder und Jugendliche, Schulen, Eltern u.v.m.

Leute wie die „Pedo Hunters“ stoßen nun in eine vermeintliche oder tatsächliche Lücke, wenn es darum geht, Straftaten mit dem Tatmittel Internet aufzudecken und zu verfolgen. Diesen Menschen kommt es darauf an tastsächliche oder potentielle Täter anzusprechen und in eine Falle zu locken. (Tatsächlich sind die bevorzugten Ziele hier männlichen Geschlechts). Dazu glauben sie sich legitimiert zu sehen, weil die Strafverfolgungsbehörden an dieser Stelle tatsächlich oder vermeintlich nicht in der Lage seien, zu handeln.

Diese Haltung ist aber, sowohl generell als auch für sich selbst genommen, falsch und durch nichts zu legitimieren oder zu rechtfertigen. Auch die Kernbotschaft, dass sich „Diese Männer im Internet nicht mehr sicher fühlen sollen“ verbunden mit der Drohung: „Wir finden Euch!“ (Zitate nach dem oben angeführten Artikel auf vice.com) spiegeln das Bild einer Bürgerwehr. Darunter zu verstehen ist ein organisiertes Vorgehen von Menschen, die das Recht in die eigene Hand nehmen. Dazu legitimiert glauben sie sich, weil sie selbst das Internet als einen rechtsfreien Raum wahrnehmen.

Damit untergraben sie aber das Gewaltmonopol des Staates, das auch und gerade im virtuellen Raum Geltung beansprucht. Gerade dieses Gewaltmonopol ist aber der zentrale Baustein des zivilisierten Miteinanders. Nicht umsonst steht die Entdeckung und Entwicklung dieses Monopols an der Schwelle vom Ausgang des finsteren Mittelalters zur aufscheinenden Morderne. Nicht mehr der Rachegedanke des (z.B. germanischen) Rechts, der von Vergeltung für erlittenes Unrecht geprägt war zählte, sondern erst die Entwicklung zu verlässlichen und eingerichteten Verfahren ermöglichte ein gedeihliches Miteinander, das durch das anerkannte Verfahren auch die Durchsetzung von Ahndungen erst ermöglichte. Die Magna Charta aus England ist ein Beispiel dafür, wie nicht nur der Willkür der Krone Grenzen gesetzt wurden, sondern auch die gegenseitige Bescheidung von Rechten und Pflichten in anerkannten Verfahren mündeten. Wer nun das Gewaltmonopol des Staates zur Disposition stellt, stellt auch die Grundlagen des pluralen Miteinanders in der Gesellschaft insgesamt in Frage.

Dabei kann auch nicht zur Entlastung angeführt werden, dass die so erkannten, in die Falle gelockten und dort gefangenen (potentiellen) Täter später gegebenenfalls der Polizei übergeben werden. Die Polizei hat nämlich nicht die Aufgabe, Straftäter:innen ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Der Grundsatz der Gewaltenteilung sieht vor, dass dies den Gerichten vorbehalten bleibt.

Die Polizei hat indes die vordringliche und vornehme Aufgabe, Gefahren von der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwenden und im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten und nach Möglichkeit schon deren Entstehung zu vermeiden. Daneben bekommt sie auch die Aufgabe zugewiesen, im Rahmen von Strafverfahren Straftaten aufzudecken und zu erforschen. Herrin des Strafverfahrens ist die Staatsanwaltschaft.

Dies soll nun nicht die polizeilichen Aufgaben kleinreden: Im Gegenteil – Polizei ist mehr, als Verbrecher zu fangen und zu verhaften (oder vorläufig festzunehmen, was nicht das selbe ist, der oder die normale Fernsehkrimi-Konsument:in aber glauben muss, dass die Serienhelden den Unterschied auch nicht kennen)

Das Problem liegt daher auf der Wahrnehmungsebene:

Das Internet ist kein rechtsfreier und auch kein grundrechtsfreier Raum. Die Wahrnehmung als solcher resultiert daraus, dass Präsenz öffentlicher Gewalt hier wenig bis kaum wahrgenommen wird. Thomas-Gabriel Rüdiger hat aus dieser Erkenntnis die broken-web-Theorie entwickelt. Diese besagt, vereinfacht gesagt, dass: So, wie ein zerbrochenes Fenster, das nicht repariert wird, in einem Viertel die Abwesenheit von Ordnung sichtbar macht und deswegen Kriminalität quasi anlockt, wird die Nichtsichtbarkeit von Polizei im Netz dazu führen, dass dieses wie das „broken window“ als „broken web“ wahrgenommen wird. Die Nichtsichtbarkeit von Ordnung führt somit zu präzivilen Ordnungsmustern und -strukturen. Das Recht des vermeintlich Stärkeren oder zumindest des (in diesem Falle) vermeintlich moralisch Überlegenen ist das, das durchgesetzt werden soll und dann auch wird. Rechtsstaatliche Grundsätze spielen in solcher „Wild-West-Manier“ keine Rolle mehr.

Das Fatale daran ist, dass nicht abgewogen werden darf, dass es ja „um die Kinder“ geht, sondern dass in einer solchen digitalen Welt und an deren Schnittstelle zur realen Welt die Rollen nach Belieben austauschbar wären und sind.

Die BKA-Statistik weist für das Jahr 2019 22.137 Fälle sexuellen Missbrauchs auf. Die Aufklärungsquote von 77,5% legt nahe, dass das Dunkelfeld hier enorm groß sein muss.

Es kann aber nicht angehen, die Aufhellung dieses Dunkelfeldes – und hier ist der Kritik im Artikel auf vice.com vollumfänglich zuzustimmen – privaten selbsternannten „Sheriffs“ überlassen werden kann, sondern tatsächlich den Fachleuten aus den unterschiedlichsten, mit dem Phänomenbereich befassten Professionen.

Die personelle und sachliche Ausstattung der Polizei sowohl was die präventivpolizeilichen Aufgaben als auch die Aufgaben in der Strafverfolgung berifft, ist Sache des Staates – und damit letztendlich des Haushaltsgesetzgebers, der im jeweiligen (Landes-)Parlament die Schwerpunkte in den Haushaltsberatungen und verabschiedeten Haushaltsplänen legt. Im demokratischen Rechtsstaat haben die Wählerinnen und Wähler auch auf die Zusammensetzung dieser Parlamente Einfluss.

Selbstjustizielle Phantasien sind immer eine schlechte Idee – im Realen wie im Virtuellen.

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Zum Abschluss sei noch ein kleiner Werbeblock erlaubt: Der Sammelband „Cyberkriminologie“ von P.S. Bayerl und T.G. Rüdiger befasst sich nicht nur mit dem broken-web-Ansatz, darin findet sich auch ein Aufsatz von mir zum Thema (grund)rechtsfreier Raum im virtuellen Raum. Der Band ist hier auf den Seiten des Verlags oder in der Buchhandlung des Vertrauens zu erhalten.

Veröffentlicht von Roland Hoheisel-Gruler

Volljurist// Mediator // Dipl. Forstwirt (univ.)//Hochschullehrer

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