Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg sind nun in groben Zügen bekannt. Der Koalitionsvertrag ist noch nicht geschrieben, die Parteigremien haben noch nicht beraten. Auch ist der neue Landtag noch nicht zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengetreten.
Ein Punkt in den nun schon bekannt gewordenen Ergebnissen hat schon allein durch seine Ankündigung für Aufmerksamkeit gesorgt: Baden-Württemberg soll ein Antidiskriminierungsgesetz erhalten. Ein solches hatte sich im vergangenen Jahr als erstes Bundesland das Land Berlin gegeben gehabt.

Wie schon in Berlin laufen nun die Polizeigewerkschaften DpolG und GdP gegen diese Pläne Sturm. Ziel der Aktion scheint zu sein, das Vorhaben schon im Vorfeld so anzugreifen, dass ein Gesetzentwurf, der im Landtag diskutiert werden könnte, gar nicht erst gefertigt werden würde.
Allein schon die Begrifflichkeit scheint hier ein Reizthema zu besetzen – warum sonst dieses Aufbegehren gegen eine dürre Absichtserklärung zweier Parteien, die sich anschicken, für die nächsten fünf Jahre die Regierung im Land zu stellen und hierfür ein Arbeitsprogramm vereinbart haben.
Um dies zu verstehen, muss man sich genauer anschauen, was ein Antidiskriminierungsgesetz eigentlich leisten kann und leisten soll. Im zweiten Schritt würde sich dann die Frage anschließen, welche Rolle die Polizei in diesem Gefüge spielen kann. Und erst, wenn diese Fragen abgearbeitet sind, käme man auf den Boden jener Tatsachen, die die Gewerkschaften gegen das Gesetzesvorhaben anführen.
Was kann und soll ein Antidiskriminierungsgesetz leisten?
Eigentlich geht es hier um eine Selbstverständlichkeit: Diskriminierung verbietet sich eigentlich schon vom Grundsatz her. Im Zivilrecht haben wir bereits seit Jahren ein AGG, das Benachteiligung auf dem Gebiet beispielsweise des Arbeitsrechts oder des Mietrechts sanktioniert. Das funktioniert, soweit die Rechtsprechung hierzu übersehen werden kann, eigentlich ganz gut. Die bei Schaffung des AGG befürchtete Prozesswelle ist ausgeblieben. Auch eine faktische Benachteiligung in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit derer, denen die Benachteiligung aufgrund der im Gesetz genannten Gründe erschwert worden ist, hat zu keinen nennenswerten Folgen geführt. Ich bin hier sogar der Ansicht, dass sich das Verständnis für eine Vielfältigkeit der Gesellschaft in all ihren Ausprägungen sogar insgesamt gestärkt hat.
Jetzt gibt es aber hier zwei Problemstellungen, die durch ein Landesantidiskriminierungsgesetz angegangen werden können: Einerseits ist die Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes und Benachteiligungsverbotes aus Art. 3 GG zwar an die Träger:innen öffentlicher Gewalt adressiert, was aber noch nichts darüber sagt, ob und wie dies auch in der Praxis gehandhabt wird. Zum Anderen fehlt dem Bundesgesetzgeber schlicht die Gesetzgebungskompetenz hier außerhalb zivilrechtlicher Beziehungen eine Regelung zu schaffen, die Diskriminierung durch die öffentliche Gewalt ahndet.
Welche Rolle spielt hierbei die Polizei?
Eigentlich keine besondere – sie ist gleich anderer Behörden Trägerin öffentlicher Gewalt. Von daher muss sie sich am Verfassungsauftrag messen lassen. Sie ist, geradeso, wie beispielsweise die Schulverwaltung an die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 3 unmittelbar gebunden – oder in Erfüllung ihrer Aufgaben mittelbar durch die Polizeigesetze der Länder oder andere Gesetze, in denen ihr Aufgaben übertragen werden. Allerdings ist die Polizei die für die Bürger:innen sichtbarste und im Kontakt unmittelbarste Stelle, an der Bürger:inneninteressen und staatliche Eingriffsbefugnisse und deren Durchsetzung unmittelbar aufeinander treffen. Von daher trifft die Polizei eine besondere Aufmerksamkeitspflicht, wenn es darum geht, dass staatliche Organe gerade nicht diskriminiertend wirken.
Was haben nun die Gewerkschaften eigentlich dagegen?
Hierzu muss man etwas näher in die Regelungslogik eines Antidiskriminierungsgesetzes schauen: Im Verwaltungsverfahren geht es nämlich darum, dass ein unabhängiges Gericht zu der Überzeugung kommen kann, dass eine konkrete Maßnahme gegen eine:n Bürger:in rechtswidrig war – oder eben nicht.
Eine Maßnahme, die in die Grundrechte eines/einer Bürger:in eingreift, ist immer dann verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, wenn diese formell oder materiell rechtswidrig wäre. Diese Rechtswidrigkeit kann sich trotz Einhaltung von Zuständigkeits- und Verfahrensregeln oder der gesetzlich vorgeschriebenen Form und der Tatbestandsmäßigkeit der Rechtsanwendung im Einzelfall daraus ergeben, dass dies eben aufgrund einer Diskriminierung erfolgte. Racial Profiling ist ein Beispiel für solches Verhalten, das sich zwar an den Buchstaben des Gesetzes hält, aber die Anwendung unter einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot zustande gekommen ist.
Der Nachweis einer solchen Diskriminierung ist in der Praxis schwierig bis schlichtweg nicht zu erbringen: In den Akten werden sich seltenst belastbare Anhaltspunkte für ein diskriminierendes Verhalten finden lassen. Zeugenbeweise – wenn überhaupt vorhanden – können durch dagegen stehende dienstliche Erklärungen von Kolleg:innen leicht entkräftet werden.
Dies führt nun zu der unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten schwer zu ertragenden Situation, dass rechtswidriges Verhalten staatlicher Organe in dem sensiblen Bereich der Diskriminierung folgenlos bleiben könnte. Aus diesem Grunde gehen die Überlegungen dahin – und in Berlin wurde dies auch schon genau so umgesetzt – dass den von Diskriminierung Betroffenen gewisse Beweiserleichterungen zugestanden werden. Die Berliner Lösung sieht vor, dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine diskriminierende Behandlung glaubhaft gemacht werden müssen. Der Behörde obliegt dann der Beweis des Gegenteils. Gelingt ihr dieses nicht, wird eine benachteiligende Behandlung durch die Behörde angenommen.
Die Gewerkschaften sprechen an dieser Stelle von einer „Beweislastumkehr“ – und im gleichen Atemzuge davon, dass dies rechtsstaatlichen Grundsätzen diametral entgegen stehe. In diesem Zusammenhang fällt auch gerne das Wort von der „Unschuldsvermutung“.
Beides ist aber in der Sache falsch.
In diesen Zusammenhang gehört auch der Vorwurf eines „Generalverdachts“ und der Frage nach persönlicher Haftung und persönlichen Konsequenzen für die Beamten.
„Beweislastumkehr„
Es handelt sich bei dem hier vorgeschlagenen Verfahren um keine Beweislastumkehr, sondern nur um eine Beweiserleichterung. Das ist keineswegs nur spitzfindig, sondern auch – vor allem in Zivilverfahren – ein gängiges und probates Mittel, beispielsweise in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wie bei der einstweiligen Anordnung oder einstweiligen Verfügung. Die Glaubhaftmachung als Beweiserleichterung kommt hier beispielsweise als eidesstattliche Versicherung in Betracht. Verlangt wird also zweierlei: Zum einen eine Tatsachenschilderung, die das Vorliegen einer diskriminierenden Behandlung überwiegend wahrscheinlich macht, in sich also insofern widerspruchsfrei erscheint und eine Glaubhaftmachung zum Beispuel in Form einer Versicherung an Eides Statt (einschließlich der strafrechtlichen Konsequenzen einer falschen Versicherung). Damit machen die Zivilgerichte seit Jahren und Jahrzehnten hervorragende Erfahrungen. Das Missbrauchspotential wird als äußerst gering eingeschätzt. Hinzu kommt ja, dass auch die Sachverhaltsschilderung in sich stimmig und schlüssig die hinreichenden Anhaltspunkte liefern muss, die eine Diskriminierung in diesem konkreten Fall als wahrscheinlicher erscheinen lassen müssen als eine Nichtdiskriminierung.
Die Beweiserleichterung stellt auch die Behörde keineswegs vor unlösbare Probleme: Eine lückenlose und in sich widerspruchsfreie Dokumentation des jeweiligen Geschehens in den Verfahrensakten könnte einen solchen Vorwurf durchaus auch entkräften helfen.
Im Ergebnis wird nur das Ungleichgewicht zwischen Behörde und Bürger:in bei der Dokumentation und dem Nachweis der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit durch diese Beweiserleichterung ein Stück weit beseitigt.
„Unschuldsvermutung“
Der Begriff der Unschuldsvermutung gehört ins Strafverfahrensrecht und hat dort seinen Platz. Das bedeutet, dass der Staat einem Menschen, der einer Straftat bezichtigt wird, bis zum Beweis seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit die Vermutung seiner Unschuld zugestehen muss.
Im Kontext der Frage, ob ein behördliches Verhalten rechtswidrig war oder nicht, kann dieses Thema keine Rolle spielen. Es ist ein falsches framing, das versucht, zu unterstellen, hier würden rechtschaffene Staatsbedienstete mit Verbrecher:innen nicht nur auf eine Stufe gestellt, sondern es würden den Staatsbediensteten Rechte vorenthalten, denen Verbrechern zugestanden würden.
„persönliche Verantwortlichkeit“
Dies hängt nun auch eng mit der Frage nach der persönlichen Verantwortlichkeit und dem Schreckgespenst der dienstrechtlichen Sanktionenn zusammen. Hierbei ist anzumerken, dass ein solches Antidiskriminierungsgesetz das Handeln des Staates und seiner Organe in den Blick nimmt und die Bürger:innen vor rechtswidrigem Verhalten dieser schützt. Ein persönlicher Vorwurf gegen den oder die einzelne Staatsbedienstete ist damit nicht verbunden. Disziplinarrechtlich bleibt es daher bei den allgemeinen Regeln, dass dem oder der betroffenen Beamt:in ein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann. Das Vorliegen einer Beweiserleichterung im Außenverhältnis reicht unter keinsten Umständen dafür aus, hieraus im Innenverhältnis ein Fehlverhalten zu konstruieren.
„Generalverdacht„
Bleibt am Schluss der Vorwurf des Generalverdachts. Zum Einen stimmt dieser Vorwurf schon in sich nicht, da durch ein solches Gesetz nichts und niemand dem Verdacht rechtswidrigen Handelns unterworfen wird.
Auf der anderen Seite offenbart dieser Argumentationsstrang aber auch ein bedenkliches Selbstverständnis derer, die in diese Richtung argumentieren:
Es ist dem Rechtsstaat geradezu immanent, dass er sein Handeln gegenüber den Menschen, die davon betroffen sind, rechtfertigen muss. Es ist ein elementarer Bestandteil des Eingriffsrechts, dass jedes behördliche Handeln, durch das der Schutzbereich eines Grundrechts eröffnet wird, der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf – und dass am Ende bei der Prüfung der Angemessenheit der Einzelmaßnahme nochmals auf die Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und Interesse der/des betroffenen Trägers/Trägerin der Grundrechte besonders geachtet wird.
Schließlich wird das behördliche Handeln der Überprüfung und Kontrolle einer unabhängigen Justiz unterworfen, das folgt dann aus Art. 19 GG.
Am Ende wird es darum gehen, dass es Diskriminierung ist, die das Vertrauen in den Staat und seine Organe nachhaltig zu erschüttern in der Lage ist. Maßnahmen, die den Verlockungen und Verführungen für diskriminierendes Verhalten entgegen wirken, sind daher vertrauensbildende Maßnahmen für das Gemeinwesen. Es würde daher den Berufsverbänden gut zu Gesichte stehen, diesen Ball aufzunehmen und für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in diesem Kontext wie Aus- Weiter- Fortbildungen, angstfreie Anlaufstellen für die Früherkennung von Fehlentwicklungen, Supervision, Stärkung interkultureller Kompetenzen, Unterstützung von Whistleblowing u.v.m. einzustehen.