Der deutsche Staat mit seinen Gesetzen ist im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und die Täter zu brav,meint Ronen Steinke in der Süddeutschen Zeitung:
Quelle: Kinderpornographie: Drei Lehren aus dem Darknet-Fall – Meinung – SZ.de
Diese drei Lehren stellen sich – verkürzt – folgendermaßen dar:
Die Ermittlungsbehörden sollten einen solchen Darknet-Marketplace nicht nur ausheben, sondern gleichfalls kapern und unter eigener Regie weiter fortführen dürfen. Ermittlungserfolge aus den USA würden zeigen, dass bei einem solchen Vorgehen eine Vielzahl weiterer Teilnehmer solcher Plattformen identifiziert werden und der Strafverfolgung zugeführt werden könnten.

An zweiter Stelle wird eine Anzeigepflicht verlangt, getreu nach dem Motto: „Alle wissen es – und jeder schaut weg!“ könne und dürfe bei sexualisierter Gewalt nicht weiter hingenommen werden.
An dritter Stelle wird der zu sanfte Umgang der Ermittlungsbehörden mit den Kirchen und deren Missbrauchsskandalen angeprangert. Hiervon würde ein falsches Signal ausgehen.
Diesen Lehren möchte ich entgegentreten, und zwar, weil sie auf den ersten Blick als zielführend erscheinen, in der Sache aber vermutlich nicht das mit dem in der Überschrift verfolgten Ziel, nämlich die Kinder zu schützen, besser erreicht werden kann.
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder gehört zu den verachtetsten kriminellen Handlungen. Die Unschuld und Wehrlosigkeit der Opfer steht einem Handeln gegenüber, das seinerseits von Gewalt und sexueller Begierde und Lust geprägt ist. Das führt zu zweierlei: Die Unfähigkeit, Hilflosigkeit bei der Hilfe für die Opfer anzuerkennen und zum Drang, die Täter mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für ihr Tun ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
Alle drei Vorschläge zielen daher, wenn es um den Schutz vor Verbrechen gehen sollte – zwar verständlich, aber dennoch kritikwürdig – auf eine generalpräventive Wirkung von Strafverfolgung. Im Vordergrund steht nämlich nicht der Schutz der Kinder, sondern der Erfolg der Verfolgung solcher Taten. Das führt aber nur dann zu einem Schutz für ein Kind, nicht Opfer eines Verbrechens zu werden, wenn der Verfolgungsdruck und die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, so hoch wird, dass von einer Tatbegehung abgesehen wird. Ob diese Kriminalitätstheorie der Rational Choice (RC) aber im Deliktsfeld der sexualisierten Gewalt besonders zutreffende Ergebnisse liefert, darf durchaus bezweifelt werden. In kaum einem anderen Phänomenbereich spielen Macht und Machtphantasien, Triebsteuerung und körperliche Begierden eine größere Rolle wie hier. Deswegen wird man der Vielzahl der Täter nur schwerlich eine rationale Abwägung bei ihrem Tun zubilligen können.
Die Idee, über das Kapern von Darknet-Marketplacen an die Daten von Nutzern zu kommen, ist nur auf den ersten Blick bestechend. Zwar werden hierdurch Personen vielleicht identifizierbar, die ansonsten durch das Netz der Fahnder geschlüpft wären. Auf der anderen Seite wird aber gerade hier verkannt, dass die Opfer dieser sexualisierten Gewalt wenigstens dadurch ein Stück ihrer geraubten Würde zurückbekommen können, wenn diese Tauschbörsen keine Minute länger als irgendwie notwendig am Netz bleiben. Das bedeutet, dass dann, wenn die Voraussetzungen für eine Durchsuchung und Beschlagnahme gegeben sind, die Opfer dadurch geschützt werden, dass sie keinen weiteren Zugriffen ausgesetzt sind. Die damit verbundenen rechtlichen Probleme sind zudem so hoch, dass sie auch mit einer Gesetzesänderung der StPO nicht zu lösen wären. Betroffen ist auf jeden Fall der unantastbare Menschenwürdekern jedes einzelnen Kindes auf jeder einzelnen Abbildung, die dann unter staatlicher Aufsicht den kriminellen Zwecken der Nutzern ausgesetzt wären. Die Abwägung von weiterem Missbrauch in vielen Fällen und Strafverfolgungserfolg in zwar vielen – gemessen an der Gesamtzahl dennoch bei weitem nicht aller – müsste zu Gunsten der betroffenen Kinder ausgehen, wollte man diese nicht ein weiteres Mal zum Objekt herabwürdigen.
Auch die Anzeigepflicht ist gut gemeint – hilft aber nicht wirklich weiter. Außer dem ohnehin flauen Gefühl, das einen beschleicht, wenn es darum geht, Menschen dazu zu verpflichten, andere Leute durch eigenes Zutun bei staatlichen Behörden strafprozessualen Maßnahmen auszusetzen, bleibt auch das Unbehagen, dass eine solche Anzeigenpflicht erst dann einsetzen kann, wenn es zu Missbrauch gekommen ist. Das hilft wiederum nur, bereits straffällig gewordene Menschen schneller abzufischen und den Schaden vielleicht im Zaum zu halten. Was an dieser Stelle wirklich hilfreich wäre und ist, sind echte Präventionsmaßnahmen, gerade in dem vom Autor angesprochenen Bereich des Vereinssports oder der Kinderbetreuung. Neben der Vorlagepflicht von erweiterten Auszügen aus dem Bundeszentralregister für Menschen, die mit Kindern zu tun haben, gehört natürlich eine besondere Achtsamkeit und das Beachten von Frühwarnsignalen zu Selbstverständlichkeiten. Daneben sind die Kinder und Jugendlichen (und deren Eltern) durch geeignete Schulungsmaßnahmen stabil und resilient zu machen. Das sind primäre Präventionsmaßnahmen, die Kinder wirklich schützen können.
Außerdem ist der Hinweis auf die Kirchen nicht verkehrt – hilft aber in dem zur Rede stehenden Phänomenbereich nicht wirklich weiter, da es sich hier um eine völlig andere Art von Missbrauch handelt als wie die, die durch kinderpornographische Aufnahmen im Internet verbreitet wird.
Auch muss leider darauf hingewiesen werden, dass ein Großteil der Missbrauchsfälle einschließlich der Weiterverwertung im Internet im weiteren familiären Umfeld geschieht. Wenn die Quellen für kinderpornographisches Material im Inland trocken gelegt werden sollen, um diese Kinder zu schützen, müssen Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdungen ernst genommen werden können. Hierfür müssen nicht nur die Jugendämter personell und organisatorisch besser ausgestattet werden, sondern auch alle Möglichkeiten, die sich für gefährdete Familien für Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII ergeben, ausgebaut und vertieft werden.
Bleibt zum Schluss leider die traurige internationale Dimension des Phänomens Kinderpornographie. Auch im jetzt aufgedeckten Fall hatte dieser nicht nur internationale Aspekte bei der Tatbegehung – wie zum Beispiel einem Serverstandort außerhalb der Europäischen Union – vielmehr sind auch weltweit Kinder als Opfer dieser Taten betroffen. Neben der konsequenten Strafverfolgung im Internet hilft an dieser Stelle aber auch ein verbesserter internationaler Kinderschutz. Dies kann und muss auf vielfältigen internationalen Ebenen vertieft und intensiviert werden.