Die Zahlen, die das Bundeskriminalamt bei der Vorstellung der Zahlen zur PKS 2020 – der polizeilichen Kriminalstatistik – veröffentlicht hat, sind bedrückend.
Dabei fällt insbesondere auf, wie sehr die Zahlen im Bereich der Kinderpornographie angestiegen sind. Nicht nur der Anstieg der absoluten Zahlen, sondern der Umstand, dass die Zahl der Kinder und Jugendlicher, die wegen des Erwerbs oder Besitzes oder der Weiterverbreitung von Missbrauchsdarstellungen in das Visier der Ermittlungsbehörden geraten waren, sich seit 2018 mehr als verfünfacht habe, ist besorgniserregend.

Dabei ist die letzte Gesetzesverschärfung in diesem Phänomenbereich logischerweise noch gar nicht berücksichtigt.
Das Dunkelfeld ist hier immer noch sehr hoch. Eine Vielzahl der Fälle bleibt nach wie vor unentdeckt.
Der Präsident des BKA, Holger Münch, hat bei der Vorstellung der Zahlen darauf hingewiesen, dass ein Trend zu beobachten sei, wonach vor allem Kinder und Jugendliche über ihre Smartphones immer häufiger kinder- und jugendpornografische Bilder teilen. Ihnen sei die Strafbarkeit Ihres Tuns häufig nicht bewusst. Auch fehle es an der Sensibilisierung durch die Eltern. Letztlich würde die Weiterleitung von pornografischen Dateien als „Mutprobe“ unter Jugendlichen angesehen.
Über Prävention ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Auch über den Sinn und Unsinn von schärferen Strafen in diesem Zusammenhang habe ich hier schon einmal geschrieben.
Ein für mich zudem wichtiger Aspekt betrifft die Frage nicht nur nach Medienkompetenz, sondern auch nach Komminikationskompetenzen.
Wenn die Annahme stimmen sollte, wonach das Smartphone unter Jugendlichen das zentrale Kommunikationsinstrument stimmt und gleichzeitig hierüber in diesen Kreisen die kinderpornographischen Dateien geteilt werden, so ist ein naheliegender Ansatz der, zu fragen, wie Jugendliche miteinander kommunizieren. Dazu gehört, zu hinterfragen, was dieser Altersgruppe wichtig ist, wie sich diese jungen Menschen selbst sehen und wie sie wahrgenommen werden wollen.
Dies betrifft also die Sender-Seite der Kommunikation, die dahinter liegenden Einstellungen und Erwartungen.
Dann gilt es, die Erwartungen dieser jungen Menschen an die Umwelt in Erfahrung zu bringen: Was ist ihnen wichtig, was wollen sie wahrnehmen und in welche Richtung geht das Interesse bei Informationsbeschaffungen. Das ist nun die Empfänger-Seite, die zunächst losgelöst von Medien und Inhalten betrachtet werden können.
In diesem ersten Schritt geht es also um Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung und um Interessen von sich aus an die Lebensumwelt. Das sind allesamt sehr ich-bezogene Grundannahmen, die aber für die Klärung dessen, wie Kommunikation insgesamt in dieser Altersgruppe funktionieren soll, zunächst einmal wichtig sind.
Im zweiten Schritt geht es dann darum, diese Erwartungen der Sender- und Empfängerseite in ein Informationsmodell einzupflegen, in dem – wie bei einem Radiogerät – die Frequenzen auf denen gesendet wird auf diejenigen der Sendeeinrichtung eingestellt sind. Erst dann kann die Interaktion gelingen. Dabei ist es selbstverständlich, dass jede:r Beteiligte jede Rolle in diesem Modell gleichzeitig einnehmen kann und auch wird.
Dann erst wird das Medium Smartphone eine Rolle spielen: Welche Apps sind angesagt und warum, was ist daran besonders? Wie funktioniert die Übermittlung von Inhalten, Botschaften, Subtexten und vielem mehr. Wie werden die Erwartungen hiervon abgedeckt – und wie werden Erwartungen durch die technischen Möglichkeiten vielleicht erst geweckt? Was bedeutet das Primat des online-Austausches für die Interaktion mit anderen Mitmenschen? Welche Rollenverschiebungen hat beispielsweise die Corona-Pandemie erst mit sich gebracht? Diese Fragestellungen betreffen dann die Medienkompetenz.
Und erst zum Schluss wird es um Inhalte gehen können und müssen: Was ist es, das auf den bevorzugten Kanälen transportiert werden soll und wird? Was sind die dahinter liegenden Erwartungen – auf Sender- wie auf Empfängerseite? Was ist an den einen Inhalten interessant und an anderen wiederum nicht`? Wie bildet sich diese Ebene über den zuvor betrachteten ab?
Und dann finden auch diese Inhalte, die sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen beinhalten, eine Einordnung in ein komplexes Kommunikationssystem von Kindern und Jugendlichen. Soweit der Zugang in diese Tiefe geschafft ist, bestehen auch dann die Chancen, dass Präventionsmaßnahmen richtig angesetzt werden können und Wirksamkeit entfalten. Das Verständnis der Kommunikationsmodelle und Kommunikationsstrukturen von Kindern und Jugendlichen schaffen daher die unverzichtbaren Voraussetzungen, bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen die notwendige Einsicht reifen zu lassen, dass es nicht darum geht, dass sich „so etwas nicht gehört“, dass es „unanständig“ sei oder „dass man das nicht macht, weil es verboten ist.“ – sondern darum, dass Gewaltdarstellungen und Gewaltverherrlichung immer auch etwas damit zu tun haben, dass es hierbei unschuldige Opfer gibt, die ihrer Mensschenwürde beraubt werden – und dies nicht nur bei der Herstellung des Bildmaterials, sondern bei jedem einzelnen Vorgang des Teilens und des Betrachtens.
Das Einbinden der Problematik in die kommunikative Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen könnte – das ist zumindest meine Hoffnung – so auch dafür sorgen, dass diese nicht nur auf der sachlichen Ebene von Verbot und Sanktionsandrohung erreicht werden, sondern dann auch Mitgefühl für die von sexualisierter Gewalt betroffenen Menschen entwickeln und dadurch ihrerseits aktiv eine Rolle bei der weiteren Verhinderung der Verbreitung dieser Inhalte einnehmen könnten.
Ein Kommentar zu “Kinder und Jugendliche als Täter:innen von sexualisierter Gewalt”
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