Auf meine Gegenrede zur Kolumne von Ahmad Mansour hat Thomas Feltes in einem tweet auf einen wichtigen Punkt hingewiesen, der es lohnt, noch einmal vertieft betrachtet zu werden.
In meiner Gegenrede geht es nicht darum, ein „wir gegen sie “ aufzubauen – wahlweise wer sich in der Rolle des „wir“ oder „sie“ wiederfinden mag. Das ist deswegen nochmals besonders herauszustellen, weil der Text ja auch darauf aufbaut, dass Polizei das ausführende Organ ist, das das staatliche Gewaltmonopol gegenüber den Bürger:innen am sicht- und spürbarsten durchzusetzen in der Lage ist.

Lagerbildung, die darauf beruht, dass die Sicht in die eine oder andere Richtung verkürzt ist, kann der Debatte daher nicht dienlich sein. Die Verkürzung der Sicht geschieht ja in Bezug auf die eigene Zuordnung und damit letztlich in Bezug auf die Reflexion. Diese ist aber Grundvoraussetzung, um im Diskurs bestehen zu können.
Die Institution „Polizei“ hat – und darauf hat Prof. Dr. Feltes in seinem tweet hingewiesen – eben nicht nur die Aufgabe, als Exekutivorgan in bürgerliche Freiheiten einzugreifen, sondern eben in erster Linie, Menschenrechte zu schützen.
Das ist nun, wenn man es dogmatisch etwas aufdröselt, etwas schwieriger zu greifen. Die Dogmatik dahinter lohnt aber eine genauere Betrachtung.
Grund- und Menschenrechte binden staatliches Handeln: Sei es unmittelbar über Art. 1 Abs. 3 GG, oder mittelbar über Art. 20 Abs 3 GG in der Anwendung einfachen Rechts. Völkerrechtliche Verträge, und damit auch solche, die die Vertragspartner auf Menschenrechte verpflichten, genießen zunächst den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Aufgrund der herausragenden Stellung der Menschenrechte in der Werteordnung unseres Grundgesetzes kommt aber z.B. der Europäischen Menschenrechtskonvention ein Anwendungsvorrang dergestalt zu, dass die darin enthaltenen Wertungen bei der Auslegung einfachen Rechts zu berücksichtigen sind. Hinzu kommen die Normen der Europäischen Grundrechte-Charta, die bei der Ausführung von Unionsrecht Anwendung finden müssen.
Grund- und Menschenrechte gelten daher zunächst nur im Verhältnis Bürger:in – Staat – lässt man den Sonderfall der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten (wie z.B. bei der Stadionenscheidung) oder bei privatrechtlichem Handeln der öffentlichen Hand (wie z.B. bei der FRAPORT-Entscheidung) außen vor.
Nun beinhalten unsere Grund- und Menschenrechte nicht nur klassische Abwehrrechte gegen den Staat (worauf das wir-gegen-sie begründet werden könnte), sondern auch Teilhaberechte. In dieser Funktion wiederum schützen die Grundrechte dahinter liegende Rechtsgüter.
Rechtsgüter und Grundrechte sind nun aber zwei ganz verschiedene Paar Stiefel: Wenn wir z.B. Art. 2 Abs. 2 GG betrachten, so sagt dessen Satz 1 ja zunächst mal nur, dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit habe. Art. 14 GG garantiert Eigentum und Erbrecht. Daraus folgt nun aber, dass den Menschen zum Einen Rechtsgüter – nämlich die benannten: Leben, körperliche Unversehrtheit usw. zustehen – und zum Andren, dass der Staat diese Rechtsgüter zu schützen hat und – so die Logik des Eingriffsrechtes – in die grundrechtlich geschützte Position, den Schutzbereich dieses Grundrechts, nur eingreifen darf, wenn dieser verfassungsrechtlich legitimiert ist.
Damit sind wir bei der Schutzpflichtendimension der Grundrechte angekommen und bei der Aufgabe des Staates, die hinter den Grund- und Menschenrechten liegenden Rechtsgüter tatsächlich zu schützen.
Dies kann er, weil ihm das staatliche Gewaltmonopol die Legitimation verleiht, deswegen die Grundrechtsposition der/des Einen zu verkürzen, um die Rechtsgüter der/des anderen zu schützen. Dieser Schutzauftrag wird in den §§ 1 der jeweiligen Polizeigesetze übertragen, wenn es dort heißt, dass die Aufgabe der Polizei sei, zuvorderst Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Dazu gehören eben auch und gerade die Individualrechtsgüter eines jeden einzelnen Menschen.
Deswegen müssen wir die Institution Polizei an diesem Auftrag messen – und die Menschen, die als Polizist:innen ihren Dienst tun, darin unterstützen und bestärken, dass diese anspruchsvolle und wichtige Aufgabe auch wahrzunehmen.
Das ist, angesichts der beschriebenen Problematiken von NSU 2.0 bis zu Racial Profiling und Anwendung Polizeigewalt nicht ganz einfach – und befördert das oben beschriebene Wagenburg-Denken: Wir gegen die heißt in diesem Fall: Mit dem Finger auf tatsächliche oder vermeintliche Fehlleistungen zu zeigen, oder sich in Rechtfertigungen unter Verweis auf „Einzelfälle“ zurückzuziehen. In beide Richtungen ist dies wenig geeignet, die Problemstellungen tatsächlich anzugehen, Fehlentwicklungen zu beschreiben und neben einer transparenten Ursachenforschung auch Änderungen offensiv zu diskutieren.
Unterstützung mit (wenn notwendig auch deutlicher) Kritik – das ist genau der Weg, wenn es darum geht, Polizeiarbeit besser zu machen. Dies geschieht dann, wenn es Früchte trägt, im Dienste aller, weil, wie Thomas Feltes zu Recht angemerkt hat, dann auch der Schutz der Menschenrechte besser klappen kann.
Die Möglichkeiten, hier vieldimensional voranzugehen, liegen zur Diskussion auf den verschiedensten Tischen. Die konstatierten offensichtlichen Lücken in Bezug auf den Schutz von Menschenrechten (ja, auch derer von sozial benachteiligten Menschen, Migrantinnen und Migranten, Angehöriger ethnischer oder religiöser „Minderheiten“ uvm.) bedürfen des Schlusses. Damit dieser gelingen kann, wäre ein Rückzug in Wagenburgen mit Sicherheit der falsche Weg. Offenheit und Transparenz sind schmerzhafte Mittel auf dem Weg zur Besserung – aber sie können hilfreich wirken.
Der Staat steht in der Verantwortung für die Garantie der Menschenrechte. Das ist die Quintessenz aus der zivilisatorischen Leistung der Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols. Die Art und Weise, wie dieses Versprechen gegenüber den Bürger:innen eingelöst wird, muss Gegenstand des permanenten öffentlichen Diskurses sein und bleiben. So, wie sich die Gesellschaft und die Verständigung über das Zusammenleben miteinander in einem permantenten Fluss befinden, muss sich auch die Rolle des Staates und seiner Organe einer immerwährenden Reflexion unterwerfen lassen.
Das geht nur miteinander und nicht gegeneinander. Schließlich darf eines nicht vergessen werden: Wenn wir über die Institution Polizei reden, geht es auch um die Menschen, die dort als Polizist:innen oder Mitarbeiter:innen ihren Dienst verrichten. Die Gleichsetzung von Mensch und Funktion würde eine offene und differenzierte Debatte wegen der Rollenzuschreibungen eher erschweren befördern.
Um den Bogen wieder zu schließen: All das hat nichts mit der Freund-und-Helfer-Metapher zu tun, im Gegenteil, wie die obigen Ausführungen hoffentlich gezeigt haben mögen.