Bespitzelte Polizist:innen

Es ist schon ungeheuerlich, was die Stuttgarter Nachrichten ausgegraben haben

Wenn die Polizei überwacht wird – StN

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Demzufolge ist seit spätestens Herbst 2019 bekannt, dass die in den Schießkinos der Polizei eingesetzte Software nicht nur die Schießleistung der Übenden erfasst, sondern auch die Gespräche der Polizist:innen werden ebenso wie ihr übriges Verhalten auf dem Platz aufgezeichnet.

Hinzu kommt, dass diese Aufzeichnungen nicht nur den Übenden oder den Trainer:innen zur Verfügung gestellt werden, sondern dass die Firma, die die Software angeboten hat und wartet, gleichfalls hierauf zurückgreifen kann – und diese das Bildmaterial und die Tonspuren weltweit an Entwickler:innen weiterreichen kann.

Einsatztaktiken und Einsatztechniken werden so zu einem OpenSource-Projekt des Innenministeriums, aus dem sich Menschen weltweit bedienen können. Das Innenministerium hat auf alle Fälle keine Kontrolle darüber – die Terror-Ausbildungscamps wird das ebenso freuen wie die Organisierte Kriminalität.

Es ist unglaublich, dass das Innenministerium erst jetzt an einem Datenschutz-Konzept arbeitet.

Die Schutzpflichtendimension geht in zwei Richtungen: Neben den dienstlichen Geheimhaltungsinteressen geht es auch um die Rechte der betroffenen Polizist:innen.

Der Einsatz neuer und IT-basierter Ausbildungs- und Übungsverfahren ist ja dem Grunde nach zu begrüßen. Dabei muss aber die datenschutzrechtliche Dimension von Anfang an mit bedacht werden. Gut gemachter und durchdachter Datenschutz ist eben kein Hemmschuh von Innovationen. Ebenso ist er kein Luxusproblem, dem man sich dann widmen kann, wenn der Rest angeschafft, installiert und in Betrieb genommen ist. Das scheint aber – wenn man dem Bericht in den Stuttgarter Nachrichten der Fall zu sein. Die Anlagen wurden in 2018 beschafft. Das Problem wurde 2019 in einer landesweiten Besprechung von Ausbilder:innen thematisiert.

Man darf daher getrost davon ausgehen, dass dem Schutz der personenbezogenen Daten der Polizist:innen nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil wurde.

Und nein: Es geht nicht darum, ob die Anlage dazu verwendet wird, Verhaltens- oder Leistungskontrollen durchzuführen. Es geht darum, dass das Land Menschen aufzeichnet, was sie tun und was sie sprechen – und dass es dafür keine Rechtsgrundlage gibt.

Vergegenwärtigen wir uns bei dieser Gelegenheit, dass die Polizist:innen als Grundrechtsberechtigte selbst darüber entscheiden können, welche Daten von ihnen erhoben und verarbeitet werden. Das folgt aus dem Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Seit der Strafvollzugsentscheidung des BVerfG 1972 – 2 BvR 41/71 ist klar, dass Verkürzungen von Grundrechtspositionen von Menschen, die in einem besonderen Näheverhältnis zum Staat stehen, einer gesetzlichen Grundlage bedürfen.

Das bedeutet, dass schon die Möglichkeit, Aufzeichnungen herzustellen, einer gesetzlichen Grundlage bedürfe.

Auf die Frage, ob dies in solchen Fällen mit einer Einwilligung geschehen könne, muss verneint werden: Wegen des Näheverhältnisses zwischen Beamt:innen und dem Dienstherrn ist eine echte Freiwilligkeit faktisch nicht möglich.

Besonders ärgerlich ist, dass hier der Staat seine Verantwortung, seine Beamt:innen zu schützen und ihre Grundrechte zu wahren, nicht nur nicht wahrnimmt – sondern dass es gerade Polizist:innen sind, die in ihrer Ausbildung und in ihrem täglichen beruflichen Tun damit befasst sind, wie sensibel personenbezogene Daten sind – und wie heikel es ist, irgendwelches Handeln mit Einwilligungen zu rechtfertigen zu versuchen.

Deswegen hat ja auch der Umgang mit polizeilichen Datenbanken im Zusammenhang mit NSU 2.0 und anderen diesbezüglichen Vorkommnissen in jüngster Zeit so viel Aufmerksamkeit bekommen – und das zu Recht.

Der LfDI Baden-Württemberg hat deswegen auch darauf hingewiesen, dass der Betrieb der Anlagen in der jetzigen Form in keinster Weise auf rechtmäßigen Füßen steht.

Außerdem stehen hier Straftaten nach §§ 201, 201a StGB – neben den im Artikel benannten Datenschutz-Verstößen.

Am Ende steht die Erkenntnis – mal wieder – dass es nicht der Datenschutz ist, der bremst. Selbst dann nicht, wenn die Anlagen bis zu einer datenschutzkonformen Ausgestaltung des Betriebs stillgelegt werden müssten.

Zu bemängeln ist, dass Grund- und Menschenrechtsschutz, grundrechtskonforme Technikfolgenabschätzungen und datenschutzrechtliche Herausforderungen nicht von Anfang an mitgedacht und in die Innovationsprozesse von Anfang an eingeführt werden.

Besser durchdachte Prozesse und durchkomponierte Innovationen sind – das hat auch die Corona-Pandemie durch die Offenlegung von Mängeln in der Digitalisierung schmerzlich gezeigt. Es geht um eine Grundhaltung, die bei der Digitalisierung auch von dienstlichen und Arbeitsprozessen unverzichtbar ist: Im Zentrum der Überlegungen stehen die Menschen und deren verfassungsrechtlich geschützten Positionen. Die zu achten und zu verteidigen ist die vornehmste Aufgabe des freiheitlichen Rechtsstaats.

Unreflektierter Technikeinsatz und Förderung von Überwachungsmöglichkeiten sind Wege in die falsche Richtung – sie verteidigen nicht den Rechtsstaat, sondern Engen ihn ein.

Vor diesem Hintergrund sind die Polizist:innen zu Recht wütend. Als diejenigen, die gegenüber den Bürger:innen am sichtbarsten das staatliche Gewaltmonopol verkörpern, werden vom eigenen Dienstherrn zum Objekt staatlicher Datensammelei gemacht – und ihrer Würde entkleidet.

Überlegungen von Polizist:innen dahingehend, ob man sich ungestört mit Kolleg:innen über dienstliche Interna oder belanglose Privatheiten austauschen kann – oder ob es besser sei, wenn man die Klappe hält – das kennt man aus totalitärem Regimen und ist eines deutschen Bundeslandes unwürdig.

Reparaturarbeiten mögen im datenschutzrechtlichen Sinn hier Abhilfe schaffen mögen – und sie sind notwendiger denn je – was es aber braucht, ist ein grundsätzlicher Wandel in der Haltung zum freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat hin zu einer bürgerrechtlichen Perspektive.

Veröffentlicht von Roland Hoheisel-Gruler

Volljurist// Mediator // Dipl. Forstwirt (univ.)//Hochschullehrer

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