Eine kleine Geschichte des Datenschutzes: Hippokratischer Eid

Wenn wir in der Geschichte zurückblicken, findet sich ein frühes Zeugnis für den Schutz personenbezogener Daten im Eid des Hippokrates.

Hippokrates von Kos lebte im 4. vorchristlichen Jahrhundert und gilt als der Begründer der modernen Medizin. Seine Nachwirkung hält heute noch an. Der so genannte hippokratische Eid ist indes erst ab dem 1. vorchristlichen Jahrhundert nachgewiesen. Hierin geht es um berufsethische Leitlinien, auf die ein Arzt sich durch Eid verpflichtet.

Die für unser Thema maßgebliche Stelle lautet:

Ἃ δ‘ ἂν ἐν θεραπείῃ ἢ ἴδω, ἢ ἀκούσω, ἢ καὶ ἄνευ θεραπηίης κατὰ βίον ἀνθρώπων, ἃ μὴ χρή ποτε ἐκλαλέεσθαι ἔξω, σιγήσομαι, ἄῤῥητα ἡγεύμενος εἶναι τὰ τοιαῦτα.

Eid des Hippokrates

Der oder die Mediziner:in erklärt hier, dass das, was er/sie nicht nur bei der Behandlung sieht oder hört, sondern auch die Tatsachen von außerhalb der Behandlung im Leben der behandelnten Menschen, verschweigt und und als Geheimnis betrachtet. Ausnahme hiervon ist, wenn die Tatsache ausgeplaudert werden dürfe.

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Dies ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:

Auf der einen Seite steht das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Behandelnden und Behandelten. Hieraus folgt nun zunächst, dass alle Tatsachen, die bei der Behandlung offenbar werden, niemanden anderes etwas angehen. Aber auch Umstände, die der/dem Behandelnden über den oder die behandelte Person von dritter Seite offenbar werden, unterliegen dieser Geheimhaltung.

Wenn man sich dies aus der Sicht der Ärztin/des Arztes ansieht, dann steht hier der Beginn des Berufsgeheimnisses. Als Berufsgeheimnisträger:innen können sie nicht verpflichtet werden, die Inhalte aus dem Näheverhältnis weiterzugeben. Aus dieser Sicht wird also zunächst die Person der Ärztin/des Arztes geschützt. Diese erhalten eine privilegierte Stellung, weil sie durch den Eid an die Geheimhaltung gebunden sind.

Der hippokratische Eid ist also zunächst eine berufsethische Verpflichtung, Geheimnisse, die anvertraut sind oder Tatsachen, die im Rahmen eines besonderen Näheverhältnisses in Erfahrung gebracht wurden, vertraulich zu behandeln.

Interessant ist daneben auch eine frühe Vorstellung von Datenschutz. Die Informationen aus der Behandlung und über die behandelten Menschen sind ja nichts anderes als personenbezogene Daten – auch wenn sich die alten Griechen vermutlich über diese Einordnung gewundert hätten und vermutlich erst einmal wenig mit dieser Sichtweise hätten anfangen können.

Damit aber ein Bedürfnis, solche personenbezogenen Daten zu schützen und sich zu verpflichten, diese nicht weiterzugeben, überhaupt entstehen kann, braucht es eine Vorstellung davon, dass es eine Sphäre der Menschen gibt, die für außenstehende Dritte unantastbar ist.

Es handelt sich daher um eine frühe Abgrenzung von Privatheit gegenüber Öffentlichkeit. Dabei ist gerade bezeichnend, dass diese Privatheit eben nicht nur „in den eigenen vier Wänden“ stattfindet und das Siegel der Verschwiegenheit aufgrund eines räumlich geschützen Bereiches trägt, sondern dass dieses Bedürfnis gerade aus der Interaktion mit Dritten heraus – hier den behandelnden Ärzten – ergibt.

Damit haben wir eine frühe Form des Datenschutzes durch Datensicherheit: Die Gesundheitsdaten und sonstigen mit der Gesundheit oder Krankheit zusammenhängenden Daten einer betroffenen Person werden nicht in der Privatsphäre selbst geschützt, sondern durch eine besondere – hier ethisch wirkende – Weitergabe- und Zugriffsbeschränkung. Geschützt wird die betroffene Person dadurch, dass der Arzt/die Ärztin gleichsam in die Sphäre des Privaten mit einbezogen wird.

Dabei ist die Ideengeschichte der Antike nicht davon geprägt, das Individuum als eigene Kategorie besoders herauszustellen. Bei Aristoteles fügt sich das Individuum in seine Aufgabe in der Gemeinschaft. Mit einer Vorstellung von Privatheit und Intimität ist dies zunächst kaum vereinbar.

Umso bemerkenswerter ist es, dass gerade diese Verpflichtung zur Verschwiegenheit – und damit der Schutz dieser Individualität hier in dem Zusammenhang mit der Gesundheit und Gesundherhaltung entstanden ist.

Krankheit, Gebrechen und Tod – diese Gefahren, die letztlich existenzbedrohend für jede:n Einzelne:n sind sind die Triebfedern, nicht nur Individualität zu formulieren sondern auch den Schutz der sie betreffenden Daten zu institutionalisieren.

Veröffentlicht von Roland Hoheisel-Gruler

Volljurist// Mediator // Dipl. Forstwirt (univ.)//Hochschullehrer

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