Eine kleine Geschichte des Datenschutzes: Nochmals Hippokrates

In der letzten Folge der kleinen Geschichte des Datenschutzes hatte ich mich mit dem Eid des Hippokrates befasst.

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Soweit es zu überblicken ist, stellt dieser Eid erstmalig personenbezogene Daten unter einen besonderen Schutz. Dabei geht es nur um einen Ausschnitt aus dem Leben der betroffenen Menschen – nämlich um deren Gesundheit und die damit verbundenen Bezüge.

Verschwiegenheitsverpflichtungen und entsprechende Rituale gab es auch schon vor der griechischen Antike. Allerdings sind diese in anderen vorantiken Kulturen zu findenden Verschwiegenheitsmuster immer an religiöse Zeremonien und Ämter gebunden gewesen. Die Verschwiegenheit nach außen einer in sich homogenen Gruppe diente also als Abgrenzungsmerkmal für kultische Zwecke. Dabei ging es also nicht darum, eine Sphäre von Privatheit gegen ein öffentliches oder anderes privates Interesse zu schützen, sondern die Heiligkeit der Handlungen vor Profanisierung zu bewahren. Die Einweihung in die Geheimnisse einer Priesterkaste oder ähnliches ist daher mit einem Initialisierungsritus vergleichbar, bei dem das dem gewöhnlichen Auge und Ohr Verborgene zugänglich gemacht und geöffnet wird.

Schutzgegenstand ist daher bei diesen religiös fundierten Geheimnissen nicht eine Privatheit von personenbezogenen Daten, sondern eine Exklusivität der Geheimnisse höherer Mächte.

Damit weist die Begrifflichkeit auf die griechische Antike zurück: Horkheimer und Adorno hatten in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ den Menschenbezug der Aufklärung als entscheidendes Merkmal der Befreiung aus dem von Kant beschriebenen Aufgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit gesehen. In der zentralen Stelle findet sich aber der Rückbezug auf die griechische Antike:

Dort geht es um die Antwort des Ödipus auf die Frage der Sphinx „Es ist der Mensch“ – dieses Bewusstsein, dass der Mensch nicht nur ein Teil einer Masse ist, die sich höheren Mächten ausgesetzt sieht, sondern mit einer eigenen Individualität ausgestattet ist, ist gerade die Geburtsstunde des Bedüfnisses, sensible Daten vor der Öffentlichkeit zu schützen. Das Gegenteil davon ist gerade die kultisch fundierte Geheimnisverpflichtung: Dort geht es darum, die Angst vor bösen Mächten oder Hoffnung auf Erlösung, Wohltaten und Abwendung von Übeln durch kultische Handlungen erreichen zu können. Das dort geschützte Geheimnis bezieht sich somit auf die Mittlerrolle zwischen der weltlichen und göttlichen Sphäre. Sie ist damt den Menschen entrückt. Auch geht es nicht um Privatheit oder um einen konkreten Personenbezug. Vielmehr steht bei der Geheimhaltung und Verschwiegenheit die Rolle, die die Priester:innen inne haben im Vordergrund. Die Menschen verschwinden sozusagen hinter ihrem Amt.

Die Medizin befand sich damals noch in ihren Kinderschuhen. Gleichwohl zeigt Hippokrates bereits auf, dass sich die philosophische Durchdringung von Gesundheit und Krankheit diese wegführt aus einem religiös geprägten Kontext: Es ging ab diesem Zeitpunkt nicht mehr darum, Götter anzurufen oder mit Opfergaben gnädig zu stimmen um einem fremdbestimmten Schicksal entgehen zu können. Eine geheimnisumwobene Kulthandlung wurde dadurch überflüssig. Dies erst eröffnete den Blick auf den Personenbezug der individuell erfahrenen und behandelbaren Krankheit.

Spannend bleibt – zumal in Zeiten von Corona – ob und wie der Hippokratische Eid sich in der damaligen Zeit mit den datenhungrigen Vefahren einer Pandemiebekämpfung auseinandergesetzt hätte. Wie hätte ein öffentliches Gesundheitswesen der Antike ausgesehen, wenn die behandelnden Ärzte dadurch in einen Gewissenskonflikt zwischen ihrer Verschwiegenheit, auf die sie einen Eid geleistet haben und dem öffentlichen Interesse an Gesundheitsdaten geraten wären?

Veröffentlicht von Roland Hoheisel-Gruler

Volljurist// Mediator // Dipl. Forstwirt (univ.)//Hochschullehrer

2 Kommentare zu „Eine kleine Geschichte des Datenschutzes: Nochmals Hippokrates

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