Missbrauch Münster: Datenschutz vs. Kinderschutz?

Die Tatsache, dass sich Pädokriminelle zumeist im Darknet organisieren, erschwere ihre Verfolgung, da sich hier Kinder- und Datenschutz beißen würden. So die These der taz:

Quelle: Urteil im Missbrauchsfall Münster: Problem Datenschutz – taz.de

In dem Artikel wird richtig herausgearbeitet, dass sich die Strafverfolgungsbehörden sehr schwer tun, kriminellen Machenschaften auf die Spur zu kommen, wenn die Täter:innen sich Verschlüsselungstechnologien bedienen. Am Ende der Ermittlungen könnten IP-Adressen stehen. Würde man die Menschen in Erfahrung bringen, die hinter diesen IP-Adressen stünden, hätte man die Täter:innen. Wie das gehen soll?

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Da ist sie wieder – die Idee der Vorratsdatenspeicherung. Vorratsdatenspeicherung, das ist die anlasslose Speicherung der personenbezogenen Verkehrsdaten, also: wer hat wann von wo aus über welche Verbindung sich im Netz bewegt.

Argument dafür: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Wenn Du nicht in den Fokus unserer Ermittlungen gerätst, werden Deine Daten nach einer bestimmten Zeit X wieder gelöscht.

Das Problem dabei: Es gibt derzeit in ganz Europa keine Lösung, wie eine solche Vorratsdatenspeicherung rechtskonform ausgestaltet werden könnte. Der EuGH hat hierzu die vorgesehenen Verfahrensmöglichkeiten aus mehreren EU-Mitgliedsstaaten als nicht mit der EU-Grundrechtscharta vereinbar verworfen. Auch für Deutschland steht der wiederholte Versuch der Einrichtung dieses Instrumentariums auf dem verfassungsgerichtlichen Prüfstand. Das Problem dahinter: Die Staaten belegen ihre Bürger:innen mit einem Generalverdacht. Allein die Möglichkeit, aufgrund der tatsächlichen Speicherung in die Mühlen der Strafjustiz zu geraten, ob schuldig oder nicht, hat Auswirkungen auf das Verhalten und damit auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Gestaltung des Privatlebens. Auch der Kernbereich privater Lebensgestaltung wäre davon betroffen.

Nun mag man vielleicht dagegen einwenden, dass dadurch ja ein wesentliches Ziel erreicht werden könnte und die präventive Wirkung der real möglichen Sanktionsmöglichkeit hier zum Zuge kommen könne. Wer weiß, dass er oder sie überwacht und kontrolliert wird, würde sich daher aller Voraussicht nach eher rechtstreu verhalten. Wer nicht – Pech gehabt und selber schuld. Das wäre, wie wenn man bei einem Tankstellenüberfall seinen Personalausweis extra vor die Überwachungskamera halten würde.

Eine solche Denke kennt man aber eher aus totalitären Regimes als aus freiheitlich verfassten Demokratien.

Jetzt aber Münster – und davor schon Lügde und davor schon Staufen und daneben die Aufdeckung großer Tauschplattformen für Kinderpornographie. Bei dem Grauen, das zunächst erst einmal sprachlos macht, ist der Ruf nicht nur nach härtesten Strafen für die Täter:innen, sondern auch nach unbeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten schnell bei der Hand.

Es ist aber nicht der Datenschutz, der den Kinderschutz verhindert. Eine Öffnung des Schutzes der personenbezogenen Daten und damit auch der Privatsphäre für strafrechtliche Ermittlungen würde vermutlich kaum das gewünschte Ziel schneller erreichbar machen. Strafrechtliche Ermittlungen retten kein Kinderleben und keine Kinderseele – das ist eine bittere und traurige Erkenntnis. Wenn Ermittlungen anlaufen können, sind die Kinder bereits längst missbraucht und geschändet. Die Idee, die hinter diesen Datenschutz vs. Kinderschutz-Gedanken steht, geht davon aus, dass der höhere Ermittlungsdruck die Täter:innen von ihrem Tun abhalten würde. Kinderschutz als mittelbare Folge aufgrund hohem Ermittlungsdruck. Das ist wie das Aufstellen stationärer Blitzer an Durchgangsstraßen.

Der Schaden für das freiheitliche Zusammenleben wäre groß: Das ist die Kernaussage des EuGH in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung.

Anzusetzen wäre daher an anderer Stelle: Ein Quick-freeze-Verfahren für inkrimierte Accounts ist in diesem Artikel bereits benannt. Hier bedarf es besserer technischer und personeller Ausstattungen der Ermittlungsbehörden, durchgehende Digitalisierung auch der Kommunikationswege mit den dann zuständigen Gerichten, Schwerpunktzuständigkeiten usw. Quick-freeze bedeutet, dass die Provider verpflichtet werden, die personenbezogenen Daten zu einem bestimmten Account, der nachgewiesenermaßen auffällig ist, einzufrieren und dann für die weiteren Ermittlungen vorzuhalten – Vorratsdatenspeicherung nicht über alle, sondern nur gegenüber denen, welchen man ohnehin auf der Spur ist.

Missbrauch von Kindern, Besitz und Konsum von Kinderpornographie finden im realen Leben statt. Die jetzt erzielten Ermittlungserfolge bauen im Wesentlichen auch auf diese Erkenntnisse mit auf.

Schließlich ist der Kinderschutz ein ganz eigenes Thema: Angefangen von der Sensibilisierung in Kindertagesstätten und Schulen, proaktiver Elternarbeit, Einbindung von Schulsozialarbeit usw. bis hin zu einer umfassenden Reform des Jugendhilferechts und der Austarierung nicht nur der Elternrechte und dem staatlichen Wächteramt aus Art. 6 GG.

Damit stehen wir an dem Punkt, warum auch Kinderrechte ins Grundgesetz gehören: Nicht nur als Objekte zwischen Staat und Eltern, sondern als Träger:innen eigener Rechte im Rahmen von Art. 6 GG.

Echter präventiver Kinderschutz muss von den Kindern her denken. Datenschutz schützt eben nicht nur Täter:innen, sondern dann in erster Linie auch die Kinder. Das erst ermöglicht die Eröffnung geschützter Räume für die Kinder.

Daneben kann dann der Ermittlungsdruck durch personelle und technische Ertüchtigung ebenso hoch gehalten werden. Weniger Datenschutz braucht es nicht.

Die Debatte Datenschutz vs. Kinderschutz ist daher ein Scheinriese, der sich bei näherer Betrachtung verzwergt.

Was Datenschutz und Cybercrime miteinander zu tun haben (können) – darüber rede ich bei der ersten Tagung für Cyberkriminologie am 19. August 2021, die an der Hochschule der Polizei Brandenburg in Oranienburg stattfinden wird.

Hier gibt es weitere Informationen zur Veranstaltung.

Zur Vertiefung eignet sich auch der Sammelband zur Cyberkriminologie, zu dem ich einen Aufsatz beisteuern durfte.

Veröffentlicht von Roland Hoheisel-Gruler

Volljurist// Mediator // Dipl. Forstwirt (univ.)//Hochschullehrer

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