Social Media und Gendern: Unsere Sprache verändert sich – Gedanken zum Interview von Prof. Theo Stemmler

Die Wirtschaftszeitung „Aktiv“ des Ratgeberportals für Arbeitnehmer:innen hat mit dem Anglistikprofessor Theo Stemmler ein Interview geführt. Anlass war, dass die deutsche Sprache sich verändere. Dabei spielt die Beobachtung, dass der Umgangston immer raueer werde, eine entscheidende Rolle.

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Quelle: Anglistikprofessor Theo Stemmler über die Veränderung der deutschen Sprache

Panta rhei – alles fließt. Dieses Motiv, das Heraklit zugeschrieben wird, lässt sich auch auf unsere Sprache anwenden

πάντα ῥεῖ

Heraklit zugeschrieben

Die Frage, wie mit dem so genannten „Gendern“ umgegangen werden kann oder muss – und die Heftigkeit, mit der diese Debatte geführt wird, lässt erahnen, wie eng sprachliche Ausdrucksformen und kulturelle Gepflogenheiten miteinander verwoben sind. Bei der Auseinandersetzung um geschlechtergerechte Sprache geht es ja nicht um die Frage der Meinungsfreiheit oder Meinungsvielfalt, wie oftmals kolportiert wird. Vielmehr geht es darum, ob und wie Menschen, die nicht männlichen Geschlechts sind, auch in der Sprache Berücksichtigung finden können – oder ob sie dieses überhaupt sollen. Der Rekurs auf das so genannte „generische Maskulinum“ stellt dabei eine hier angenommene Verständlichkeit des Gesagten vor eine Sichtbarkeit der nicht-männlichen Geschlechter. Hinter der – als selbstverständlich erachteten männlichen Form – versteckt sich aber auch eine männlich dominierte Sicht auf die Dinge. Hinter dieser Auseinandersetzung steckt daher auch immer eine Frage, wie sich die Gesellschaft zu patriarchalen Strukturen stellt und wie sie mit nicht-männlichen Menschen umgehen will und soll.

Weil so ein kultureller Wandel immer auch mit dem Verlust von Privilegien verbunden ist, geht es nicht nur darum, durch das Sichtbarmachen von nicht-männlichen Menschen in der Sprache ihnen einen Raum im Diskurs einzuräumen, sondern auch die bisher als sakrosankt verstandenen männlichen Privilegien nicht nur in Frage zu stellen sondern dies auch als Selbstverständlichkeit im kulturellen Miteinander zu verankern.

Mit dem kulturellen Miteinander hat auch der zweite Punkt zu tun – der in dem angesprochenen und zitierten Interview einen Groß´teil der Fragestellungen ausmacht:

Wie wirkt sich der Umgang im Digitalen auf den Umgang in der realen Welt aus? Die im Interview angesprochenen Anglizismen sind nur ein Punkt. Aufgrund der Tatsache, dass es in Chats schnell gehen muss oder dass – wie bei twitter – eine Zeichenbegrenzung je Nachricht besteht, wird dort die Sprache verkürzt. Vermeintlich Überflüssiges wie Artikel wird weg- und ausgelassen. Durch das Verwenden von so genannten Emojis feiern nach Meinung von Kritikern die Hieroglyphen fröhliche Urständ.

Weil die Interaktion zwischen Menschen sich in den letzten Jahren zunehmend auf digitale Medien verlagert hat, sind auch die Auswirkungen dieser Verkürzungen im Umgang im Real Life deutlich zu spüren. Die Sprache verändert sich in dem Maße, wie sie im digitalen Umfeld neu und anders gebraucht wird.

Ein weiterer Punkt ist im Interview angesprochen worden: Hier geht es um die Verrohung des Umgangstones. Das wird darauf zurückgeführt, dass auch die Phänomene wie HateSpeech im Internet rasant zugenommen haben.

Doch worauf ist dieses Phänomen zurückzuführen?

Ich vertrete hier die Auffassung, dass der zivile Umgang miteinander im realen Leben eingehegt ist durch kulturelle, ethische und rechtliche Rahmenbedingungen, an die zu halten es sich schon allein deswegen empfiehlt, weil Regelverstöße nicht nur geahndet werden können, sondern auch zu einer Ächtung im sozialen Umfeld führen können. Entscheidend dabei ist, dass es eine anerkannte und geachtete Instanz gibt, die die Geltung dieser Regeln garantieren kann.

Damit sind wir beim Zusammenhang mit der eingangs erwähnten Problematik der geschlechtergerechten Frage angekommen: Hier hat sich das gesellschaftliche Bewusstsein dahingehend geändert, dass es für viele Menschen nicht mehr erträglich ist, wenn nicht-männliche Menschen sprachlich nicht sichtbar sind. Diese fordern deswegen ein, dass eine solche sprachliche Behandlung, die als Diskriminierung verstanden wird und auch verstanden werden kann, nicht länger stillschweigend hingenommen wird, sondern dass hier aktiv die Bewusstseinsänderung auch in der Sprache wiederspiegelt. Der Versuch, auf anerkannte und hergebrachte Regeln der Rechtschreibung zu verweisen, ist somit ein Bemühen, eine Instanz, die für die Regeln und deren Einhaltung steht, gegen einen Wandel ins Feld zu führen.

Bei der Frage der Zunahme von Hass, verbaler Gewalt, Beleidungen und so weiter besteht zwar ein weitgehendes gesellschaftliches Übereinkommen, dass solches Verhalten sich nicht gebühre. Die Auswirkungen, die in der digitalen Kommunikation zu spüren sind, schwingen aber – so auch der Befund von Prof. Stemmler über.

Die Diskursverschiebung beginnt im digitalen Umfeld: Dort gibt es eben keine anerkannte und ordnend eingreifende anerkannte und legitimierte Autorität, die Grenzen aufzeigt. Etwas anderes ist zu beobachten: Gruppen und Sub-Gruppen führen ihrerseits ein Eigenleben, an deren Berührungspunkten mit anderen Gruppen oder in Schnittmengen durch einzelne Gruppenmitglieder kommt es zum Austausch mit anderen. Innerhalb dieser Gruppen entwickeln sich eigene Codes. Weil die Kommunikation über elektronische Medien erfolgt, sind auch diese Codes vielschichtig: Neben schriftlicher Kommunikation finden sich Sprachnachrichten, Videobotschaften, Emojis oder – ein besonderes Kommunikationsmittel: Memes.

Auf diesen Ebenen findet eine besondere Form der Gemeinschaft statt – zur Abgrenzung von anderen wird der Ausdruck daher härter und gegebenenfalls brutaler. Darüber hinaus ist Hass und Gewalt gegenüber anderen auch ein Mittel, sich seiner eigenen Position zu versichern und die Gruppenzugehörigkeit zu festigen.

Im Ergebnis haben wir es mit präzivilen Verhaltensmustern zu tun, die auf Abgrenzung nach außen und Gleichförmigkeit nach innen zielen. Weil ein solches Kommunikationsverhalten im Digitalen als selbstverständlich erachtet wird, treten diese Muster auch im realen Leben zunehmend auf. Die Verrohungen und Abgrenzungen sind damit Abbilder aus dem Leben in der virtuellen Welt.

Dieser kann meiner Meinung nach nur beigekommen werden, wenn auch dort Hass und Hetze mit Counterspeech innerhalb der Gruppen begegnet werden kann und die Menschen, die sich hier trauen, Zivilcourage zu zeigen, auch hier als digitale Helden Anerkennung finden – und nicht Ausgrenzung und Schimpf und Schande als Nestbeschmutzer:innen. Dafür braucht es auch digitale Anlaufstellen und sichtbare Präsenz staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ordnung – niedrigschwellige und Angebote der Polizei beispielsweise, die auch anonym genutzt werden können. Klagemöglichkeiten von zivilgesellschaftlichen Gruppen gegen einzelne Accounts, von denen Hass ausgeht, wäre ein weiteres Mittel.

Nicht das Mitmachen, Mitjubeln und Toll-Finden zeichnet eine Gruppenzugehörigkeit aus – auch das ein Nebeneffekt digitaler Lebenswelten – sondern auch hier Besonnenheit, Überlegung und Hinterfragen. Damit dies gelingen kann, braucht es aber Sicherheit für die einzelnen Akteuere. Diese können nicht digital vereinzelte Gruppen leisten. Das ist Aufgabe des Staates, will er sein Gewaltmonopol auch im Digitalen nicht in Frage gestellt wissen und der zivilgesellschaftlichen Gruppen, die ihr Tun in den Dienst der Allgemeinheit stellen.

Soweit also Sprache sich verändert ist dies ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Veränderung. In jede Richtung ist die Veränderung mit der Aufgabe hergebrachter und überlieferter Gewohnheiten verbunden. Wenn wie bei dem so genannten „Gendern“ die Vielfalt der Gesellschaft auch sprachlich abgebildet wird, so kann das als Gewinn gesehen werden. Wenn die sprachliche Verrohung ein Hinweis auf das Zerfallen des gesellschaftlichen Zusammenhalts gewertet werden kann, ist dies ein Alarmsignal, das aufrütteln sollte. Hier müsste an die Wurzeln – und das heißt – an den Umgang im Digitalen – gegangen werden. Einfach ist das sicherlich nicht. Wegschauen ist aber die schlechteste aller möglichen Alternativen.

Veröffentlicht von Roland Hoheisel-Gruler

Volljurist// Mediator // Dipl. Forstwirt (univ.)//Hochschullehrer

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