Nicht zuletzt aufgrund der Dokumentation im ARD über die Problematik des Filmens von Polizeieinsätzen ist die Diskussion über die Strafbarkeit nach § 201 StGB wieder aufgeflammt.

Hintergrund ist, dass aufgrund der allgegenwärtigen Präsenz von Handy-Kameras Polizeieinsätze vermehrt aufgezeichnet und über das Internet schnell verbreitet werden. Hieran schließt sich in der Regel eine Debatte zu Polizeigewalt im Allgemeinen und dem Vorgehen der Polizei im Besonderen an.
Die Sendung panorama schreibt im Begleittext zur Sendung vom 22.07.2021:
Polizisten, die nicht wollen, dass man sie filmt, berufen sich häufig auf einen Paragrafen, der eigentlich die Vertraulichkeit von Privatgesprächen schützen soll. Juristen halten das für fragwürdig. Was wäre der Fall „George Floyd“ ohne das Video? Es gibt auch in Deutschland Fälle von polizeilichen Übergriffen, die dem Auftrag und der Rolle der Polizei nicht gerecht werden: Dabei geht es um Gewalt, aber auch um unflätige Beleidigungen und Machtgehabe, wie Panorama vorliegende Handyaufnahmen beweisen. Doch sind solche Aufnahmen überhaupt legal?
panorama
Der Paragraph, der hier gemeint ist, ist der § 201 StGB:
§ 201 StGB – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt1.das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder2.eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.
(2) 1Ebenso wird bestraft, wer unbefugt
1.das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen mit einem Abhörgerät abhört oder2.das nach Absatz 1 Nr. 1 aufgenommene oder nach Absatz 2 Nr. 1 abgehörte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitteilt.2Die Tat nach Satz 1 Nr. 2 ist nur strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. 3Sie ist nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird.(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter die Vertraulichkeit des Wortes verletzt (Absätze 1 und 2).(4) Der Versuch ist strafbar.(5) 1Die Tonträger und Abhörgeräte, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. 2§ 74a ist anzuwenden.
§ 201 StGB
Auf den ersten Blick könnte man ja geneigt, sein, dass das wunderbar passen könnte: Was die Polizist:innen einem anderen gegenüber äußern, geht letztlich nur diese Person etwas an, ist also vertraulich und nicht öffentlich. Also wäre dies eine taugliche Strafnorm.
Bei näherer Betrachtung fällt aber auf, dass das Schutzgut, das durch diese Strafnorm geschützt ist, nicht so ohne weiteres auf die handelnden Polizist:innen passen mag:
Im Münchener Kommentar steht dazu zu lesen, dass das gemeinsames Rechtsgut aller Tatbestandsalternativen des § 201 das nichtöffentlich gesprochene Wort sei. Allerdings soll dessen Gebrauchin der Privatsphäre nicht durch die Sorge, auf einen bestimmten Wortlaut festgelegt zu werden, beeinträchtigt werden. Die Vorschrift dient, so der Kommentar weiter, somit der verfassungsrechtlich garantierten freien Entfaltung der Persönlichkeit durch Gewährleistung der Unbefangenheit der mündlichen Äußerung. Hierzu wird auf die verfassungsgerichtliche und BGH-Rechtsprechung verwiesen. In der Fußnote finden sich daher: BVerfG 31.1.1973 – 2 BvR 454/71, BVerfGE 34, 238 (246) und BGH 14.6.1960 – 1 StR 683/59, BGHSt 14, 358 (359).
Damit wird aber das Problem deutlich: Polizist:innen können sich bei dienstlichen Äußerungen gar nicht auf ihre Privatsphäre berufen, da sie den von einer Maßnahme betroffenen Menschen als Grundrechtsverpflichtete, nicht aber als Grundrechtsberechtigte gegenüber treten. Das bedeutet, dass die Polizist:innen ihrerseit ihr Handeln verfassungsrechtlich zu rechtfertigen haben und dieses Handeln der Kontrolle unterliegt.
Ein Ausweg wird nun dahingehend gesucht, dass argumentiert wird, es gehe darum, hier die Privatsphäre der Adressaten dieses nicht-öffentlich gesprochenen Wortes zu schützen. Das scheint mir jedoch insgesamt etwas weit hergeholt. Denn der Schutz der Privatsphäre gehört insgesamt zur Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme insgesamt. Oder anders herum gesagt: Wenn Polizist:innen keinen Rechtfertigungsgrund dafür aufbieten können, warum Dritte von deren Maßnahmen Kenntnis erlangen können, kann dies zur Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns führen. Die Kenntniserlangung und Aufzeichnung geschieht eben hier dann nicht durch ein unberechtigtes Eindringen Dritter in eine geschützte Sphäre des von der Maßnahme betroffenen Menschen, sondern dadurch, dass diese Sphäre nicht hinreichend durch die Polizist:innen selbst geschützt worden ist.
Der ansonsten genommene Weg über das KUG ist mittlerweile durch höchstrichterliche Rechtsprechung verwehrt:
Wer präventivpolizeiliche Maßnahmen bereits dann gewärtigen muss, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass sein Verhalten Anlass zu polizeilichem Einschreiten bietet, wird aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen auch zulässige Aufnahmen (zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Filmens und Fotografierens polizeilicher Einsätze vgl. BVerwGE 109, 203 [210 f.]) und mit diesen nicht selten einhergehende Kritik an staatlichem Handeln unterlassen.
BVerfG NVwZ 2016, 53 (54) m. Anm. Penz = BVerfG, Beschluss vom 24.07.2015 – 1 BvR 2501/13
Damit ist aber auch die Möglichkeit, bei Filmenden rein vorsorglich eine Identitätsfeststellung zu machen, nicht ernsthaft zielführend. Denn wenn so verfahren wird, braucht es auch hierfür einen Rechtsgrund. Wenn dieser im Landespolizeigesetz gesucht wird, müsste der/die Filmende aber Verhaltensstörer:in im Sinne des Polizeirechts sein. Es müsste eine konkrete Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut vorliegen. Die nur rein theoretische Möglichkeit, dass die aufgezeichneten Bilder vielleicht den Weg in das Internet finden könnten und dann nicht wegen des Aufzeichnens sondern wegen des Verbreitens dagegen vorgegangen werden können müsste, verfängt nicht. Dies wäre eine wohl unzulässige Art einer Vorratsdatenspeicherung, bei der ein rechtmäßiges Verhalten mit einer polizeilichen Klammer umfasst wird für den Fall, dass vielleicht irgendwann mal eine etwaige Rechtsgutverletzung aus diesem rechtmäßigen Verhalten resultieren könne. Denn auch hierfür beansprucht die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Gültigkeit.
Unglücklich sind in diesem Zusammenhang die Entscheidungen des OLG Karlsruhe aus den Jahre 1978 und 1979 in der Nachfolge einer Entscheidung des OLG Frankfurt aus dem Jahre 1977:
Danach bleibt auch die Äußerung eines Amtsträgers in dienstlichem Zusammenhang trotz einer etwa gebotener Transparenz nichtöffentlich. In dem Verfahren vor dem OLG Karlsruhe, das mit endete, ging es darum, dass ein Bürger versucht hatte, mit Hilfe einer Tonbandaufnahme später mündliche Zusagen des Amtsträgers beweisen zu können.
Es geht grundsätzlich nicht an, anerkannte Grundrechte von Menschen allein mit Rücksicht darauf, daß sie als Amtsträger beteiligt waren, für unbeachtlich zu erklären. Es wäre insbesondere sachlich nicht zu rechtfertigen, den von der Rechtsordnung gewährten Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts öffentlichrechtlichen Bediensteten zu versagen. Der Senat tritt dem OLG Frankfurt (NJW 1977, 1547) bei, soweit dieses aufgrund objektiver Auslegung der gesetzlichen Regelung festgestellt hat: „Nicht nur das dem Intimbereich und der privaten Geheimsphäre zuzuordnende, nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen darf nicht unbefugt auf Tonträger aufgenommen werden, vielmehr ist jedes, auch das in beruflichem oder dienstlichem Zusammenhang nicht öffentlich gesprochene Wort durch § 201 StGB geschützt.”
OLG Karlsruhe Urteil vom 9. 11. 1978 – 2 Ss 241/78 = NJW 1979, 1513
In dieser Grundannahe des OLG Karlsruhe liegt die nunmehr seit über 40 Jahren fortgeschrittene Fehlannahme, dass Handlungen, die in Grundrechte von Bürger:innen eingreifen, ihrerseits durch das Persönlichkeitsrecht der handelnden Personen einen besonderen Grundrechtsschutz erhalten. Diese Annahme verkennt aber die grundsätzlichen Funktionen der Grundrechte als Abwehr- und Teilhaberechte der Bürger:innen gegenüber den Handlungen des Staates und seiner Organe.
Roggan ist daher zuzustimmen, wenn er schreibt:
Dienstliche Verlautbarungen beliebiger Art mit Außenwirkung sind für sich genommen schon nicht als menschliche bzw. persönliche (ggf. »flüchtige«) Kommunikation im Sinne des genannten, verfassungsgerichtlichen Verständnisses anzusehen. Sie bedürfen, da ein Unbefangenheitsschutz in genanntem Sinne insoweit nicht zu besorgen ist, auch nicht des Schutzes der in Rede stehenden Strafnorm.
Roggan, StV 2020, 328
Zur Strafbarkeit des Filmens von Polizeieinsätzen – Überlegungen zur Auslegung des Tatbestands von § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB
Die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung, die Roggan auch in seinem Aufsatz anhand von Beispielen aus München und Kassel unterstreicht, (LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, StV 2020, 161 und LG München I, Urt. v. 11.02.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17, StV 2020, 321) dürfte daher auch in Zukunft Bestand haben können. Eher wird auf den Tatbestandsmerkmalen der Nichtöffentlichkeit in Abgrenzung zu einer tatsächlichen oder auch faktischen Öffentlichkeit argumentiert werden. Das ist der Rechtssicherheit insgesamt nicht unbedingt dienlich.
In diesem Zusammenhang spielt auch noch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine nicht unerhebliche Rolle. Im Zusammenhang mit der Frage der Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung hat das BVerfG dort lapidar ausgeführt:
Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass die Fachgerichte davon ausgegangen sind, dass zumindest der Anrufer und der Moderator der inkriminierten Radiosendung verdächtig waren, durch Anfertigung und Verwendung der Aufnahmen von den Telefongesprächen sich der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes schuldig gemacht zu haben. Ebenso begegnet es keinen Bedenken, dass die Fachgerichte hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Vermutung gesehen haben, dass die gesuchten Beweismittel in den Räumen des Beschwerdeführers aufzufinden seien.
Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 10.12.2010, Az.: 1 BvR 1739/04
Im dahinter liegenden Fall war ein Telefonat mit einem Pressesprecher der Polizei Hamburg heimlich aufgezeichnet worden. Das Gespräch war dann ausschnittsweise gesendet worden.
Letztlich geht es aber in den Fällen aus Karlsruhe und Hamburg darum, dass, anders als in einem Kontext einer polizeilichen Maßnahme, eine echte Kommunikation zwischen Bürger:innen und staatlichen Organen stattgefunden hat. Beide Konstellationen berühren eine informatorische Ebene. Dieser ist allenfalls eine Annexfunktion staatlichen Handelns zuzuschreiben, nämlich dahingehend, dass ein weitergehender Anspruch darauf besteht, dass staatliche Organe ihr Handeln den Bürger:innen verständlich machen und erklären, Auskünfte erteilen und Fragen beantworten.
Bei den informatorischen Auskünften kann man den öffentlichen Inhalt der Nachricht nicht von der Person, die die Auskunft erteilt, trennen. Hier geht es nicht um den Vollzug einer öffentlich-rechtlichen Befugnisnorm, die den formellen und materiell-rechtlichen Grundlagen des staatlichen Handelns entsprechen muss, sondern um eine kommunikative Aufgabe, die im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten auch bis zu einem gewissen Grade mit der handelnden Person unauflöslich verknüpft ist.
Dass dem so ist, ist letztlich auch daran zu erkennen, dass die Regelung in § 38 VwVfG die Unverbindlichkeit mündlicher Aussagen festschreibt:
(1) Eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), bedarf zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Ist vor dem Erlass des zugesicherten Verwaltungsaktes die Anhörung Beteiligter oder die Mitwirkung einer anderen Behörde oder eines Ausschusses auf Grund einer Rechtsvorschrift erforderlich, so darf die Zusicherung erst nach Anhörung der Beteiligten oder nach Mitwirkung dieser Behörde oder des Ausschusses gegeben werden.
§ 38 Abs. 1 VwVfG
Die eigentlich bittere Erkenntnis ist, hätte der Betroffene aus Karlsruhe diese Vorschrift gekannt, wäre der Kassettenrekorder vermutlich zuhause geblieben und er hätte auf eine schriftliche Fixierung des Gesprächsinhaltes bestanden. Aber so ist es meist: Die Rechtsprechung entwickelt sich oft dann fort, wenn irgendjemand nicht bis zum Ende gedacht hat – das ist aber eine ganz andere Baustelle.
Die Frage, ob ein Schutz aus § 201 StGB für dienstliche Äußerungen bestehen kann und wohl für die oben skizzierten Beispiele informatorischen Handelns bejaht werden könnten, ist zu unterscheiden von staatlichen Maßnahmen, die eine eigenständige Grundrechtsrelevanz für die Betroffenen haben, hier tritt die eigenständige Persönlichkeit der Handelnden hinter die Ausübung staatlicher Machtbefugnisse zurück.
Letztlich muss der Gesetzgeber aber Klarheit schaffen.
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