Der heutige Netzfund führt in die Niederlande. Dort geht es um „Mediation in Strafsachen“:
Quelle: Mediation in Strafzaken – The Lime Tree
Im Kern geht es hier um eine Form des Täter-Opfer-Ausgleiches, wie ihn auch das deutsche Strafrecht und das deutsche Strafverfahrensrecht kennt.

Materiellrechtlich regelt hier § 46a StGB in Strafsachen:
§ 46a Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung
Hat der Täter1. in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder
2. in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt,so kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundertsechzig Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen.
§ 46a StGB
Diese Vorschrift postuliert damit, dass der staatliche Anspruch auf Ausspruch einer Strafe ganz oder teilweise zurücktreten muss, wenn der Täter/die Täterin sich um Schadenswiedergutmachung ernsthaft bemüht hat und so die Folgen für das Opfer gemildert werden konnten.
Wie das funktionieren kann, ist in den §§ 155a und 155b StPO näher ausformuliert. Demzufolge sollen sowohl die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und das Gericht ab dem Zwischenverfahren die Möglichkeiten prüfen, ob ein Ausgleich zwischen Täter:in und Opfer in Frage kommen könnte.
Neben dieser Prüfung sollten diese Institutionen bei geeigneten Fällen auch darauf hinwirken. Dabei muss der Opferschutz eine besondere Rolle genießen, und so postuliert auch § 155a Satz 3 StPO, dass gegen den ausdrücklichen Willen des Opfers die Eigung nicht angenommen werden darf.
Die Durchführung des Verfahrens selbst ist in § 155b StPO geregelt:
§ 155b Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs
§ 155b StPO
(1) Die Staatsanwaltschaft und das Gericht können zum Zweck des Täter-Opfer-Ausgleichs oder der Schadenswiedergutmachung einer von ihnen mit der Durchführung beauftragten Stelle von Amts wegen oder auf deren Antrag die hierfür erforderlichen personenbezogenen Daten übermitteln. Der beauftragten Stelle kann Akteneinsicht gewährt werden, soweit die Erteilung von Auskünften einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Eine nicht-öffentliche Stelle ist darauf hinzuweisen, dass sie die übermittelten Daten nur für Zwecke des Täter-Opfer-Ausgleichs oder der Schadenswiedergutmachung verwenden darf.
(2) Die beauftragte Stelle darf die nach Absatz 1 übermittelten personenbezogenen Daten nur verarbeiten, soweit dies für die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs oder der Schadenswiedergutmachung erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. Sie darf personenbezogene Daten nur verarbeiten, soweit dies für die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs oder der Schadenswiedergutmachung erforderlich ist und die betroffene Person eingewilligt hat. Nach Abschluss ihrer Tätigkeit berichtet sie in dem erforderlichen Umfang der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht.
(3) Ist die beauftragte Stelle eine nichtöffentliche Stelle, finden die Vorschriften der Verordnung (EU) 2016/679 und des Bundesdatenschutzgesetzes auch dann Anwendung, wenn die personenbezogenen Daten nicht automatisiert verarbeitet werden und nicht in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden.
(4) Die Unterlagen mit den in Absatz 2 Satz 1 und 2 bezeichneten personenbezogenen Daten sind von der beauftragten Stelle nach Ablauf eines Jahres seit Abschluss des Strafverfahrens zu vernichten. Die Staatsanwaltschaft oder das Gericht teilt der beauftragten Stelle unverzüglich von Amts wegen den Zeitpunkt des Verfahrensabschlusses mit.
Daraus folgt nun, dass Staatsanwaltschaften und das Gericht eine Stelle mit der Durchführung des Verfahrens betrauen können. Dabei legt das Gesetz im Wesentlichen Wert auf die Einhaltung datenschutzrechtlicher Grundlagen. Dies ist deswegen vonnöten, weil personenbezogene Informationen hier den eigentlichen Raum des staatlichen Strafverfahrens verlassen.
In der Durchführung kann ein solcher Täter-Opfer-Ausgleich dann wie ein Mediationsverfahren verhandelt werden. Wichtig ist hierbei, dass es nicht darum geht, ein privates Strafverfahren en passant durchzuführen, sondern die Täter-Opfer-Beziehung zum Gegenstand zu machen. Dabei muss die Beeinträchtigung des Opfers durch die Tat nicht nur herausgearbeitet, sondern auch auf Täterseite verstanden werden. Ebenso muss die Einsicht, Unrecht getan zu haben, glaubwürdig dem Opfer vermittelt werden können.
Damit ist die Herstellung einer Ebene, auf der über die Lösung dieses Konflikts mediiert werden kann, ungleich schwerer als wie bei einer privatrechtlichen Auseinandersetzung.
Hier wird es im Kern darum gehen, eine Rechtsgutverletzung – die auf Täter:innenseite zugestanden sein muss, ungeachtet der Unschuldsvermutung des Strafprozessrechts im Besonderen, zu thematisieren und eine Restitution dieser Rechtsgutverletzung herbeizuführen.
Eigentlich ist es ein Rückfall des Strafrechts zurück in das Zivilrecht: An die Stelle des staatlichen Gewaltmonopols tritt wieder das Recht der unerlaubten Handlungen. Darin liegen Gefahr und Chance gleichermaßen: Mediator:innen, die sich eines Täter-Opfer-Ausgleiches annehmen, müssen sich bewusst machen, dass es nicht darum geht, strafwürdiges Verhalten verhandelbar zu machen oder gar den Eindruck entstehen zu lassen, Täter:innen könnten sich auf diese Art und Weise freikaufen. Es geht darum, tatsächlich eine opferzentrierte Sichtweise einzunehmen und daraus abgeleitet die Anforderungen herauszuarbeiten, die dem Opfer einer Straftat wichtig sind, damit in seinen Augen der Rechtsfriede – und um diesen geht es ja letztlich in allen strafrechtlichen Angelegenheiten – wieder hergestellt werden könnte. Dabei muss besonders darauf geachtet werden, dass das Zusammentreffen zwischen Täter:in und Opfer zu keiner sekundären Viktimisierung führt.
Damit beschränkt sich das Strafrecht wiederum letztlich auf seine Kernkompetenzen: Dem Staat dort das Gewaltmonopol zuzuerkennen, wo der Bruch der Regeln des friedvollen Zusammenlebens unter keinen Umständen hinnehmbar ist. Strafrecht als gelebte ultima ratio der Rechtsgemeinschaft.
Mediation in Strafsachen – was sich zunächst ein bisschen „strange“ anhört, kann durchaus ein zivilisatorischer Fortschrit bedeuten. Neben der Rückgewinnung bürgerrechtlicher Eigen- und Selbstverantwortung ist die Konzentration staatlicher Strafansprüche sicher ein Gewinn für die Zivilgesellschaft. Dabei ist von erheblicher Bedeutung, dass es auch darum geht, dem Opfer nicht die Verantwortung für das eigene Wohl und Wehe aufzuerlegen, sondern unter dem Gedanken des Opferschutzes dafür zu sorgen, dass dessen individuelle Wiedergutmachung und dessen Wiederherstellung des Rechtsfriedens oberste Priorität haben muss.