Die Diskussion über die Rechtmäßigkeit – oder die Rechtswidrigkeit des Filmens von Polizeieinsätzen kommt immer wieder auf das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit zu sprechen. Hintergrund hierfür ist, dass die Strafbarkeit aus § 201 StGB daran hängt, ob in eine geschützte Privatsphäre durch die Aufnahme eingedrungen wurde.

§ 201 Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt1.das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder
2.eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt
1.das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen mit einem Abhörgerät abhört oder
2.das nach Absatz 1 Nr. 1 aufgenommene oder nach Absatz 2 Nr. 1 abgehörte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitteilt.Die Tat nach Satz 1 Nr. 2 ist nur strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Sie ist nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird.
§ 201 StGB
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter die Vertraulichkeit des Wortes verletzt (Absätze 1 und 2).
(4) Der Versuch ist strafbar.
(5) Die Tonträger und Abhörgeräte, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.
Hier geht es nicht um das Bild, sondern um die Tonaufnahme. Gleichwohl wird diese Vorschrift herangezogen, wenn das Filmen von Polizeieinsätzen zur Anzeige gebracht wird.
Die Parallelvorschrift des § 201a StGB ist nämlich offensichtlich nicht brauchbar, da deren Tatbestandsmerkmale wie z.B. in einer Wohnung oder der besonders gegen Einblicke geschützter Raum bei Polizeieinsätzen, die dann gefilmt werden, nicht einschlägig sind.
Der Weg über das KUG ist, wie bereits an anderer Stelle gezeigt, durch die Rechtsprechung zwischenzeitlich verwehrt.
Neben der Debatte, ob Polizist:innen im Einsatz überhaupt ein durch § 201 StGB geschütztes Rechtsgut einer Privatheit zukommen kann, ist umstritten. Ich neige letztlich der Meinung zu, dass staatlichen Organen in Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit keine eigene Privatheit zukommen kann, wenn sie ihrerseits in die Grundrechte von Bürger:innen eingreifen. Die Abgrenzung zum informatorischen Verwaltungshandeln, das sich nicht von der Person trennen lassen kann, habe ich bereits hier beschrieben. Die grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Überlegungen finden sich hier.
Neben diesen Überlegungen, die sich im innerstaatlichen Rechtsrahmen bewegen, habe ich aufgrund eines Hinweises von T.Greg Doucette (nochmals danke dafür!!!) einen Blick nach Amerika gewagt und von dort die Rechtsprechung zum 1. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten angeschaut. Interessanterweise geht es dort nicht um die Frage von Privatheit oder Öffentlichkeit, als wie um die Frage der Meinungs- und Informationsfreiheit.
Aus diesen Überlegungen kann durchaus auch für die Debatte in Deutschland Honig gesogen werden. Allerdings wird hier zu Recht darauf verwiesen werden, dass die in Deutschland vergleichbare Pressefreiheit eben ein besonderes Privileg für Presseorgane darstellt und dass nicht jede:r sich dieser Freiheit berühmen können dürfte. Selbst vor dem Hintergrund, dass Handykameras und SocialMedia nicht nur allgegenwärtig sind und Aufnahme und Verteilung oftmals nur einen Touch auf den Screen weit entfernt sind, wird dieses Verhalten selbst dann nicht der Pressefreiheit zuzurechnen sein, wenn die Informationen dann auf allgemein zugänglichen Kanälen geteilt werden. Wenn nun das aufgezeichnete Geschehen selbst eine allgemein zugängliche Quelle sein sollte, dann sind wir wiederum bei der Frage der Öffentlichkeit und/oder der Privatheit.
Gleichwohl ist die vertiefte Befassung mit der Rechtslage in den Vereinigten Staaten für die Sensibilisierung in der Debatte hilfreich. Vergleiche anzustellen bedeutet in diesem Zusammenhang ja auch, Abgrenzungen und Differenzierungen vorzunehmen, aber dogmatische Gedankengänge aus dem fremden Recht im eigenen Rechtssystem nutzbar zu machen und einer kritischen Untersuchung bei der Anwendung des eigenen Rechts zu unterwerfen.
So bin ich bei einer Entscheidung Turner v. Driver, 848 F.3d 678 (5th Cir. 2017) gelandet, die sich über den 1. Zusatzartikel der Frage der Öffentlichkeit annähert:
Quelle: Turner v. Driver, 848 F.3d 678 | Casetext Search + Citator
In addition to the First Amendment’s protection of the broader right to film, the principles underlying the First Amendment support the particular right to film the police. „There is practically universal agreement that a major purpose of the First Amendment was to protect the free discussion of governmental affairs.“ To be sure, „speech is an essential mechanism of democracy, for it is the means to hold officials accountable to the people. The right of citizens to inquire, to hear, to speak, and to use information to reach consensus is a precondition to enlightened self-government and a necessary means to protect it.“
Über die Frage der Informationsfreiheit hinaus wird also festgestellt, dass dieses Recht, Filmaufnahmen von der Polizei – im hier entschiedenen Fall war es das Polizeigebäude als solches gewesen – sich auch darauf stützt, dass die freie Rede über Angelegenheiten staatlichen Handelns für die funktionierende Demokratie essentiell sind. Daraus wird nun aber abgeleitet, dass über dieses staatliche Handeln nur dann der Diskurs geführt werden könne, wenn seinerseits der Zugang zu den Informationen hierüber nicht verwehrt werde. Zumindest, wenn es sich um eine Videoaufnahme eines Polizeigebäudes handelt, dient dies der Meinungsbildung und Meinungsäußerung. Damit ist auch das Aufnehmen letztlich als Akt der eigenen Meinungsbildung und das Teilen als Akt der Meinungsäußerung geschützt. Hierfür ist die Öffentlichkeit polizeilichen Handelns unverzichtbar. Damit funktioniert aber die Konstruktion einer Privatheit für die hoheitlich Handelnden gerade nicht mehr. Öffentlichkeit ist hier für die Kontrolle staatlichen Handelns letztlich konstitutionell.
Gathering information about government officials in a form that can readily be disseminated to others serves a cardinal First Amendment interest in protecting and promoting „the free discussion of governmental affairs.“ Moreover, as the [Supreme] Court has noted, „[f]reedom of expression has particular significance with respect to government because ‘[i]t is here that the state has a special incentive to repress opposition and often wields a more effective power of suppression.’
Turner v. Driver, 848 F.3d 678 (5th Cir. 2017)
Von daher verwundert es nicht, wenn hier in zweierlei Richtung argumentiert wird: Zum Einen ist das Sammeln und die Weitergabe von hoheitlichem Handeln in besonderem Maße von der Meinungsfreiheit gedeckt, zum Anderen sitzen gerade hier die Anreize, seitens der Regierung das Bedürfnis der Bürger:innen auf freie Information als Grundlage für die freie Rede über das Regierungshandeln zu unterdrücken. Letzteres, nämlich der Versuch, die Dokumentation über hoheitliches Handeln zu unterbinden, sei aber mit dem 1. Verfassungszusatz nicht in Übereinstimmung zu bringen.
This is particularly true of law enforcement officials, who are granted substantial discretion that may be misused to deprive individuals of their liberties.
Turner v. Driver, 848 F.3d 678 (5th Cir. 2017)
An dieser Stelle kommt nun eine US-amerikanische Besonderheit, die mit der dortigen Lage in den Polizeien zu tun hat: Wie bekannt ist, besteht in den USA nicht nur ein größeres Problem in Bezug auf Polizeigewalt im Allgemeinen, die Rolle der Polizei ist insgesamt eine andere. Die Polizei ist dort schneller zur Hand, wenn es um vorläufige Festnahmen geht. Deswegen ist der Hinweis des Gerichts, dass insbesondere die Polizeie hier besonders im Augenmerk stehe, weil sie besonders befähigt sei, Freiheitsrechte einzuschränken im wörtlichen Sinne zu verstehen, nämlich als körperlich vermittelter Zwang, der die Bewegungsfreiheit der/des Bürger:in durch staatliches Handeln aufzuheben in der Lage ist.
Letztlich ist das Fazit, das das Gericht zieht, von besonderer Güte:
Ensuring the public’s right to gather information about their officials not only aids in the uncovering of abuses, but also may have a salutary effect on the functioning of government more generally.
Protecting the right to film the police promotes First Amendment principles.
Turner v. Driver, 848 F.3d 678 (5th Cir. 2017)
Diese Erkenntnis, nämlich das letztlich das Recht, die Polizei filmen zu dürfen, die Prinzipien des ersten Zusatzartikels der US-Verfassung sogar fördern würde, ist elementar.
Das Gericht stellt nicht nur heraus, dass dieses Tun nicht verboten sein könne sondern unterstreicht damit auch die besondere verfassungsrechtliche Stellung, indem es hierfür ein Recht postuliert, dessen Ausübung letztlich dem 1st. Amendment erst zur Wirksamkeit verhelfen könnte.
Diese bürgerrechtliche Lesart würde der Debatte in Deutschland gut tun.
Ein Kommentar zu “Die Polizei, die Videoaufnahme und die Öffentlichkeit”
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