Nachbarschaft und Mediation

ABC News – die Seite der australischen Radio-und Informationsplattform ABC Australian Broadcasting Commission hat eine bemerkenswerte Entwicklung ausgemacht. Nachbarschaftsstreitigkeiten seien enorm angestiegen:

Have we forgotten how to talk to our neighbours? The WA Citizens Advice Bureau says complaints about neighbours have increased a hundredfold and most of them are over minor issues that could be resolved by talking.

Quelle: Have we forgotten how to talk to our neighbours? Citizens Advice Bureau complaints up a hundredfold – ABC News

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Und so scheint auch die Frage berechtigt, ob „wir“ vergessen haben, wie mit den Nachbar:innen zu kommunizieren sei.

Diese Beobachtung ist sicherlich keineswegs auf den australischen Kontinent beschränkt, sondern ein weltweit zu beobachtendes Phänomen. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Kommunikationskultur sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat – auch die Gewohnheiten des eigenen und damit des Zusammenlebens haben einen Wandel erfahren. Hinzu kommt, dass nicht nur die Individualisierung eine Rolle spielt, sondern auch das selbstverständliche Abstecken tatsächlicher oder vermeintlicher „claims“ – also für die eigene Privatheit reservierte Bereiche. In gleichem Maße also, wie die Privatheit im digitalen Leben zunehmend der Öffentlichkeit anheim fällt, wird sie im real life wichtiger. Der Rückgang von wechselseitiger Verantwortung innerhalb eines sozialen Nahraumes verstärkt diese Entwicklung daher noch.

Es ist also etwas zu kurz gedacht, wenn nur die Frage aufgeworfen wird, ob wir es verlernt haben, mit den Nachbar:innen zu reden. Es geht darum, dass damit auch die Mechanismen verloren gehen, wie hier Konflikte gelöst werden können und sollen. Die fortschreitende Individualisierung bringt es ja auch mit sich, dass das Verständnis für die eigene Position groß, das für die anderen Menschen im Zweifel geringer ausfällt. Hierin kann ein erhebliches Konfliktpotential liegen.

Dies geht auch mit der Beobachtung im zitierten Artikel einher: Demnach sind viele angezeigte Vorgänge nicht wirklich jusitziabel.

Hier gilt es nun, in zwei Richtungen zu denken: Sicherlich lässt sich eine gute Nachbarschaft und ein freundschaftliches Zusammenleben keinesfalls verordnen – und es gilt immer noch das Zitat, wonach der Frömmste nicht in Frieden leben könne, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefalle.

Gleichwohl sind hier zivilgesellschaftliche Initiativen gefordert, hier entsprechende Nachbarschaftsprojekte zu initiieren und zu vertiefen: Wer miteinander ins Gespräch kommt und an gemeinsamen Aktivitäten teilnimmt, findet auch Wege, etwaige Konflikte auf einfache Art und Weise auszuräumen.

Dies hilft aber nur mittel- und langfristig. Die Problempunkte bleiben für kurzfristige Konflikte ebenso bestehen wie für die Fälle, in denen es trotz einer (Wieder-)Belebung des nachbarschaftlichen Miteinanders nicht funktionieren kann – weil die Positionen oder Sichtweisen zu weit auseinander liegen.

In all dieses Fällen ist aber Mediation ein bewährtes und probates Mittel der Konfliktlösung. Denn es geht ja nicht nur um diese konkrete Fallkonstellation, oft steckt gerade bei Nachbarschaftskonflikten mehr dahinter. Und es gilt zu bedenken, dass es nicht um Sieg oder Niederlage gehen kann – weil die Nachbar:innen gegebenenfalls noch Jahre und Jahrzehnte in unmittelbarer Nähe leben und sich eher mehr denn weniger streitträchtige Berührungspunkte ergeben könnten. Eine Niederlage vor Gericht schreit in Nachbarschaftsstreiten förmlich nach Wiedergutmachung an anderer Stelle: Die Eskalationsspirale ist eher darauf getrimmt, nach oben zu gehen, anstatt zur Befriedung insgesamt beitragen zu können.

Mediation eröffnet nun diesen notwendigen geschützten Raum, in dem eine Basis für ein gegenseitiges Verständnis hergestellt werden kann und in dem Lösungsmöglichkeiten gemeinsam erarbeitet werden, die die Bedürfnisse aller Konfliktparteien berücksichtigen.

Mediation als kommunikationsbasiertes Konfliktlösungselement ist darüber hinaus aber auch ein Anfang, mit den Nachbar:innen ins Gespräch zu kommen und wieder zu lernen, wie man miteinander redet. Das dürfte immerhin eine Komponente sein, die über den konkreten Konflikt hinauszeigt und dem Streit im Nachgang als friedstiftende Komponente wenigstens noch eine Sinnhaftigkeit zuzuschreiben in der Lage wäre.

Das gilt nicht nur für das nachbarschaftliche Klima insgesamt sondern in besonderem Maße für die Fälle, die zwar belastend aber leider dann doch nicht justiziabel sind.

Veröffentlicht von Roland Hoheisel-Gruler

Volljurist// Mediator // Dipl. Forstwirt (univ.)//Hochschullehrer

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