Die BGH-Entscheidung zu Facebook und seinem digitalen Hausrecht ist nun schon wieder ein paar Tage alt, ich hatte schon kurz nach Erscheinen das erste Mal drüber geschrieben. Gleichwohl möchte ich hier nochmals darauf zurückkommen:

Um was ging es da nochmals? Die FAZ hat es hier kurz und präzise zusammengestellt:
Letztlich hat der Bundesgerichtshof zu Ansprüchen gegen die Anbieterin eines sozialen Netzwerks, die unter dem Vorwurf der „Hassrede“ Beiträge gelöscht und Konten gesperrt hat, am 29.07.2021 geurteilt.
Wir waren anlässlich der 1. Konferenz für Cyberkriminologie auf diese Entscheidung zu sprechen gekommen. Es ging hier um die Frage der Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung im Digitalen Raum. Facebook und seine Hausregeln waren dabei nur Anlass, nicht aber Gegenstand der weiteren Überlegungen.
Der Bundesgerichtshof hat herausgestellt, dass ein Plattformbetreiber durchaus sein digitales Hausrecht selbst setzen und auch selbst durchsetzen könne. Das ist zunächst einmal nichts neues.
Weil die Grundrechte für den Plattformbetreiber aber nicht unmittelbar Geltung beanspruchen, können sich Account-Inhaber:innen auch nicht direkt auf die Meinungsfreiheit berufen, wenn sie sich zu Unrecht gesperrt oder gelöscht fühlen. Vielmehr muss das zuständige Zivilgericht, das hierüber zu entscheiden hat, die Rechtsanwendung im Lichte der Grundrechte durchführen: Das gebieten schon Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG. Dabei kann es in Ausnahmefällen dazu kommen, dass ein Fall einer mittelbaren Grundrechtsbindung für Private anzunehmen ist. Das hat das Bundesverfassungsgericht unter andrem in seinen Entscheidungen zu FRAPORT oder zur Stadion-Entscheidung herausgestellt.
Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass das digitale Hausrecht systematisch an den Auslegungsregeln zum AGB-Recht der §§ 305ff. BGB zu messen sei. Dabei spielt dann § 307 BGB eine besondere Rolle. Mit dem Verweis auf die Grundsätze von Treu und Glauben in § 242 BGB ist die Anwendbarkeit der Werteordnung des Grundgesetzes eröffnet.
Dabei hat der Bundesgerichtshof nun nicht nur entschieden, dass es Plattformanbietern erlaubt sein müsse, die Grenzen des Sag- und Schreibbaren enger zu ziehen, als wie die Grundrechtsgewährleistung des Art. 5 GG es erlauben können würde. Diese Möglichkeit einer plattformabhängigen „Zensur“ ergibt sich daraus, dass eine solche Plattform nicht nur eine Agora des Meinungsaustausches darstellt, sondern dass hier eben auch erhebliche wirtschaftliche Interessen des Anbieters verfolgt werden, die es in der Abwägung zu berücksichtigen gilt. Der „kostenfreie“ Zugang zu einer Plattform ist daher zwar nicht mit Geld, aber anderweitig zu erkaufen.
Viel spannender an dieser Entscheidung ist aber ein anderer Punkt:
Der Bundesgerichtshof hat es nicht dabei belassen, die Zulässigkeit der Hausregeln anhand des AGB-Rechts zu prüfen und dann im zweiten Schritt die rechtskonforme Anwendung dieser Regeln näher zu untersuchen – wie es die zivilrechtliche Herangehensweise zunächst nahelegen würde.
Hier hat das Gericht nun ein Instrument bemüht, das dem öffentlichen Recht immanent, dem Zivilrecht aber eigentlich fremd ist: Das der Anhörung. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs müssten die Hausregeln, um rechtskonform zu sein, ihrerseits Regelungen vorsehen, die vor einer Sperrung oder Löschung den/die betroffene:n Accountinhaber hiervon informieren und ihr/ihm die Möglichkeit einer Gegendarstellung einräumen.
Schauen wir uns doch einmal § 28 VwVfG näher an:
§ 28 Anhörung Beteiligter
(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn
1.eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint;2.durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde;
3.von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll;
4.die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will;
5.Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen.
(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.
Das ist also ungefähr das, was sich der Bundesgerichtshof vorstellt. Damit dringt aber nicht nur ein Instrument des Verwaltungsrechts in das Zivilrecht ein, vielmehr wird der privatwirtschaftlich und international agierende Plattformanbieter behandelt, als wenn es sich bei ihm um eine öffentliche Stelle handeln würde.
Denn das Recht des Einzelnen, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis zu nehmen, wird aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG hergeleitet. So verweist das BVerfG in ständiger Rechtsprechung hierauf, wenn es um das Recht auf ein faires Verfahren geht. Das Recht auf Anhörung wird hierbei als ein wichtiges Element des „fair trial“ gesehen.
Darüber hinaus wird das Recht auf Anhörung aus den materiellen Grundrechten und anderen, gleichermaßen individual-schützenden Verbürgungen des Grundgesetzes hergeleitet. Maßgeblich ist hierbei, dass verhindert soll, dass die oder der Betroffene in Bezug auf den Staat und die Ausübung von hoheitlicher Gewalt auf die Rolle eines Objektes reduziert wird. ( BVerfGE 101, 397, 405 = NJW 2000, 1709 [BVerfG 18.01.2000 – 1 BvR 321/96]). Schließlich wird auch argumentiert, das Anhörungsrecht sei als Konkretisierung der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) zu verstehen. (siehe hierzu auch: Knack / Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), 11. Auflage 2020, § 28 VwVfG, Rn. 12)
All dies ist öffentlich-rechtlichen Zusammenhängen geläufig, den zivilrechtlichen Grundsätzen der Privatautonomie aber fremd.
Zu Ende gedacht könnte diese Entscheidung ein Eingeständnis dahingehend sein, dass die Internetkonzerne als quasi-staatliche Akteure in einem Raum handeln, in dem diese ihre eigenen Regeln aufsetzen und auch durchsetzen können und dies auch dürfen. Um diesem zivilrechtlichen Miteinander eine Kontur zu geben und um Rechtsstaatlichkeit, Grundrechtsbindung und Verhältnismäßigkeit durchsetzen zu können, wird diesen Konstrukten ein Verfahren aufgegeben, das letztlich die privatwirtschaftlichen Internetkonzerne an die Stelle öffentlicher Behörden setzt. Durch gleichgerichtete Verfahrensregeln bis zur nicht-mehr-Unterscheidbarkeit an quasi-hoheitlichen Befugnissen. Ob es das war, was Bundeskanzlerin Merkel mehr als einmal in ihren Video-Botschaften zur Aussage verleitete, das Internet sei kein rechtsfreier Raum? Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein.
Die jetzige Entscheidung setzt eine Debatte fort, über die ich im Sammelband zur Cyberkriminologie geschrieben habe. Dort habe ich mich unter dem Titel „Das Internet ist kein (grund-)rechtsfreier Raum“ mit dieser Thematik näher befasst.