Wir haben uns bereits in der letzten Folge dem Beichtgeheimnis angenähert gehabt. Während wir dort eine Einordnung dieses Geheimnisses in ein System des Schutzes von Informationen vor staatlicher oder sonst öffentlicher Neugierde vorgenommen haben und mit dem Aufsatz von Droste-Hülshoff eine modern anmutende rechtsphilosophische Begründung gefunden haben, soll es hier nun um die Kodifizierung des Beichtgeheimnisses als solches gehen.

Das Beichtgeheimnis wird auch als das älteste Datenschutzgesetz der Welt bezeichnet. Die Codifizierung führt uns zurück ins beginnende 13. Jahrhundert. Papst Innozenz III. hatte das Konzil 1213 zusammengerufen. Es tagte im Lateran bis 1215. Innozenz III. gilt als einer der bedeutendsten Kirchenrechtler des Hochmittelalters. Das 4. Laterankonzil ist daher als eines der wichtigsten dieser Epoche anzusehen. Die kirchlichen Verfahrensregeln wurden größtenteils neu gefasst.
Der 21. und 22. Canon der Konzilsbeschlüsse befassen sich mit dem Thema der Buße. Dabei wird im 21. Canon selbst auf das Bußsakrament eingegangen, während der 22. Canon an die Ärzteschaft adressiert ist. Dieser ist auf eine eigene Art bemerkenswert, weil doch in der Rückschau von 800 Jahren eine frühe Psychologie formuliert wird: Die Ärzte sollen ihre Patient:innen anhalten, für ihr Seelenheil zu sorgen. Der Zusammenhang zwischen Sünde und Gesundheit kann verstanden werden als die Erkenntnis, dass Schuld und normabweichendes Verhalten sich psychisch und letztlich auch physisch auf die Gesundheit auswirken könnten. Auch im 21. Canon steht das Beichtgeheimnis nicht an erster Stelle, sondern quasi als logischer Schluss der Ausführungen über die Buße am Ende.
Das Beichtgeheimnis wird daher erst dann verständlich, wenn es zunächst in den religiösen Kontext eingebettet wird. So sollen die Gläubigen einmal jährlich ihre Sünden bekennen und die hierbei auferlegte Buße zu erfüllen – wobei sich die Frage nach der Institution unmittelbar anschließt. Der Canon nennt hierfür den Priester. Theologisch betrachtet jedoch findet der Bußakt in Kontakt mit Gott selbst statt, der Priester ist hierbei nur Mittler.
Interessanterweise wird auch beim Zwiegespräch zwischen Priester und Gläubigen darauf verwiesen, dass der Priester hier – nach moderner Lesart – als Seelenarzt tätig werden soll: Behutsam sowohl die vorgebrachten Sünden hinterfragen und – einem Arzte gleich – dann ein Heilmittel zur Anwendung bringen.
Durch das Beichtgespräch erfährt der Priester also nicht nur objektive Umstände normabweichenden Verhaltens, sondern auch und gerade Hintergründe und Motive. Es wird durch diese Vorschrift im Canonischen Recht ein Vertrauensverhältnis zwischen Priester und Beichtenden geschaffen, das – und das haben die Väter des 4. Laterankonzils erkannt – fragil ist und Begehrlichkeiten ausgesetzt sein könnte. Deswegen musste dieses Bußsakrament durch Strafandrohungen und Sanktionsmöglichkeiten auch abgesichert werden. Und so findet sich im Can. XXI am Ende folgende Stelle:
Caveat autem omnino ne verbo vel signo vel alio quovis modo prodat aliquatenus peccatorem sed si prudentiori consilio indiguerit illud absque ulla expressione personæ caute requirat quoniam qui peccatum in poenitentiali iudicio sibi detectum præsumpserit revelare non solum a sacerdotali officio deponendum decernimus verum etiam ad agendam perpetuam poenitentiam in arctum monasterium detrudendum.
Can. XXI: De confessione facienda et non revelanda a sacerdote et saltem in pascha
communicando
In der Schwere der Strafandrohung liegt in diesem Falle auch der Erfolg dieses über Jahrhunderte erfolgreichen Beichtgeheimnisses. Bis heute sieht das Canonische Recht hier schwerste Strafen für diejenigen vor, die das Beichtgeheimnis brechen. Aber auch die weltlichen Begehrlichkeiten werden durch entsprechende Gesetze eingehegt. So gehören Priester gem. §53 StPO zum Kreise der Berufsgeheimnisträger:innen – und sie dürfen eine Zeugenaussage über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger:innen bekanntgeworden oder anvertraut worden ist, verweigern.
Gleichwohl steht das Beichtgeheimnis – und nach unserer Lesart ist es tatsächlich ein Schutz von personenbezogenen Daten – unter Druck: Sollen sich Mörder:innen oder Kinderschänder:innen einem/einer Seelsorger:in offenbaren dürfen, ohne dass sie Angst davor haben müssen, dass diese Offenbarung durch die Strafverfolgungsbehörden und letztlich das Gericht genutzt werden könnte? Gerade bei solchen Straftaten, die in der Bevölkerung einen hohen Empörungsgrad haben, wird das Beichtgeheimnis vielfach als nicht mehr zeitgemäß angesehen und es wird verlangt, es für solche schweren Straftaten zu öffnen – damit die Gerechtigkeit ihren Weg nehmen könne.
Dabei verkennen solche Forderungen aber, dass erst dieser Schutz der Inhalte wie der Umstände von Beichtgesprächen es ermöglichen konnte, einen geschützten Rahmen zu schaffen, der es ermöglicht, eigenes Fehlverhalten nicht nur selbst zu reflektieren, sondern innerhalb dieses Rahmen sich auch kommunikativ austauschen zu können. Gerade solche Gespräche – die nicht nur dem Seelenheil im religiösen Sinne – sondern auch hinsichtlich des Bewusstwerdens eigenem Fehlverhaltens – wichtig und richtig sind, müssen jeglichem staatlichen Zugriff entzogen werden und auch entzogen bleiben. Nur so – wenn die Vertraulichkeit und der Schutz von Informationen und Inhalten gewährleistet ist, kann das Instrument Wirkung entfalten.
Die Fortsetzung wird sich mit dem Schicksal von Menschen befassen, die vor der Frage standen, ob sie das Beichtgeheimnis wahren oder – um sich selbst zu retten – dem Informationsverlangen nachkommen wollten.
Ein Kommentar zu “Eine kleine Geschichte des Datenschutzes: Das 4. Laterankonzil und das Beichtgeheimnis”
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