Wir haben uns ja in der vergangenen Folge mit den historischen Wurzeln des Beichtgeheimnisses befasst und herausgearbeitet, dass die Regelungen des 4. Laterankonzils sich als notwendige Folge dessen ergeben mussten, dass die Gläubigen ihrerseits um ihres Seelenheiles willen angehalten wurden, ihr normabweichendes Verhalten nicht nur zu reflektieren, sondern zu bereuen und einer hierfür zuständigen Instanz – nämlich dem Priester mitzuteilen.

Dieser wiederum war gehalten, sich des Menschen anzunehmen, Hintergründe zu erfragen und eine adäquate und individuell passende Buße aufzuerlegen. In der Zusammenschau mit der Aufforderung an die Ärzte, die gesundheitlichen Auswirkungen von Fehlverhalten als solche zu begreifen und nicht nur an den Symptomen zu arbeiten, erkennt man eine für das Hochmittelalter erstaunlich moderne Sicht auf die psychische und physische Verfasstheit der Menschen.
Kenntnis von Information macht jedoch begehrlich und so musste das Konzil zu den härtesten Maßnahmen greifen, die innerhalb des kirchlichen Dogmengebäudes möglich waren, um diese Informationen bestmöglich zu schützen. Es darf hierbei ja nicht vergessen werden, dass das ganze System von der Grundvorausetzung ausgeht, dass es eine göttliche Macht gibt, der alleine die Allmacht zur ewigen Vergebung oder Verdammnis zusteht und die über die weltlichen Möglichkeiten hinausgehen kann. Deswegen kann der Schutz nur innerhalb dieses Systems gewährleistet werden. Dabei waren die angedrohten Strafen im Sinne einer – auch erst Jahrhunderte später durch Feuerbach formulierten – negativen Generalprävention ein wirksames Instrument.
Die Begehrlichkeiten insbesondere weltlicher Organe in Bezug auf diese Informationen liegen auf der Hand. Exemplarisch seien hier verschiedene Personen genannt, die sich diesen Begehrlichkeiten widersetzt haben. Neben dem Brückenheiligen St. Johannes Nepomuk, dessen Heiligenlegende erzählt, er sei deswegen in der Moldau ertränkt worden, weil er gegenüber dem König verschwiegen blieb und den Inhalt des Beichtgesprächs mit der Königin nicht offenbarte, ist an dieser Stelle zunächst Henry Garnet zu nennen.
Dessen Geschichte zeigt, dass es dabei eben auch um hochbrisante und politisch prekäre Situationen gehen kann. In seinem Falle war es die Kenntnis über ein Attentat – nämlich dem Gunpowder Plot – einem Versuch britischer Katholiken, während der Parlamentseröffnung am 5. November 1605 den protestantischen König von England, Jakob I., seine Familie, die Regierung und alle Parlamentarier zu töten, die ihn als Mitwisser erst eine Anklage und dann Todesurteil und Hinrichtung einbrachte.
Jan Sarkander geriet zu Beginn des 30-jährigen Krieges in die politischen Mühlen der katholischen und protestantischen Interessen – oder genauer gesagt: der dahinter stehenden weltlichen Mächte. Auch hier sollten Kenntnisse aus der Beichte für politische Zwecke zur Kenntnis gebracht werden. Jan Sarkander wurde 1620 für seine Verschwiegenheit zu Tode gefoltert.
Andreas Faulhaber wiederum wurde auf Befehl König Friedrichs II in Preussen hingerichtet. Hier trafen die Interessen des aufgeklärten absolutistischen Herrschers auf das Beichtgeheimnis: Auch hier waren es letztlich militärische Interessen des Staates, die für die Verurteilung den Ausschlag gegeben haben. Die Sicherung der Macht in den eroberten Gebieten stand dabei im Vordergrund.
Für das 20. Jahrhundert ist Kaplan Josef Wehrle bezeugt, der im Zusammenhang mit dem Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 vom Volksgerichtshof-Richter Freisler zum Tode verurteilt worden war. Grund der Verurteilung war das Gnadengesuchs eines anderen,nämlich des Offiziers Ludwig Freiherr von Leonrod. Dieser hatte seinerseits zu seiner Entlastung angegeben, in der Beichte bei Kaplan Wehrle sich über die Sündhaftigkeit der Vorbereitung eines Attentates ausgetauscht zu haben. Es steht anzunehmen, dass dieses – vergebliche – Entlastungsgesuch seinerseits unter Folter erpresst worden war, um weitere Mitwissende in Erfahrung zu bringen.
Die Wichtigkeit des Beichtgeheimnisses lässt also anhand dieser Beispiele erkennen, dass, wenn es um Machtausübung und Machtansprüche von Obrigkeiten geht, die Gefahr besteht, dass solche sensiblen personenbezogenen Daten zur Durchsetzung eigener Ansprüche genutzt werden können sollen. Damit ist der Schutz dieser Geheimnisse und der damit verbundenen Menschen – also nach unserer Lesart der personenbezogenen Inhaltsdaten und der Umstandsdaten sowie Namen, Anschriften etc. ebenso wie der Betroffenen selbst – essentiell für das Funktionieren des Austausches zu sensiblen Themen.
Es geht in allen Fällen nicht darum, ob die Betroffenen „auf der richtigen Seite“ standen oder nicht – sondern darum, dass weltliche Macht (in den frühen Phasen vermag man noch nicht von Staat zu sprechen) an Informationen kommen will, die nicht nur nicht öffentlich verhandelt wurden, sondern darüber hinaus auch im religiösen Kontext eine besondere Stellung einnehmen.
Für heutige Fragen nach Datenschutz und Datensicherheit geht es natürlich auch darum, welchen Stellenwert – anders als wie im Hochmittelalter – dieser Austausch zwischen Geistlichen und Gläubigen in einer ansonsten säkularen Welt beanspruchen können. Eine Lehre ist aber auch, dass der Austausch von Informationen und die Reflexion über normabweichendes Verhalten in einem geschützten Raum möglich sein muss. Denn so, wie bereits das 4. Laterankonzil es herausgestellt hat, geht es nicht nur ums Seelenheil, sondern auf die Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit insgesamt. Vor diesem Hintergrund erscheinen Begehrlichkeiten für Zugriffe von staatlichen Institutionen auf personenbezogene Daten in einem besonderen Licht. Die Einhegung dieser Begehrlichkeiten ist daher im liberalen Rechtsstaat verfassungsmäßig geboten. Das Beichtgeheimnis kann daher zu Recht auch nach über 800 Jahren wechselvoller Geschichte seinen Platz zum Schutze der Menschen und ihrer Geheimnisse beanspruchen.
Ein Kommentar zu “Eine kleine Geschichte des Datenschutzes – weltliche Begehrlichkeiten und Beichtgeheimnis”
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