Schöne digitale Welt?

Der Titel lehnt sich nur bedingt an „brave new world“ von Aldous Huxley an – zum Einen weil der Bezug zu diesem Roman schon zigfach ausgelutscht sein dürfte, zum Anderen aber auch, weil es sich bei der digitalen Welt keineswegs um eine „Neue“ handelt, sondern allenfalls um eine, die sich seit Jahren entwickelt und verändert.

digitale identität

Gleichwohl – um beim Titel zu bleiben – scheint es für Viele eine Neue zu sein. Neu ist hier im Sinne von „neuartig, unbekannt“ zu verstehen. Neuland, gewissermaßen, das erstmalig betreten wird. Damit hat der Umgang damit auch etwas von der Erzählung der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus – und der Sicht der Nachfahren der Ureinwohner:innen auf dieses Ereignis.

Um was geht es also: Um eine Welt, die schon da ist und die sich dynamisch entwickelt. Dies geschieht allerdings nicht in der real fassbaren Umgebung, sondern in einem digitalen, virtuellen Kontext. Diese Welt erscheint denen als neu, die mit dem Umgang dessen, was sie dort erwartet, unerfahren sind. In den Netzwerken dort treffen sie auf andere, die sich dort auskennen und quasi heimisch sind.

Nur ist es in unserem Falle nicht so wie im bemühten historischen Beispiel, dass die Neuankömmlinge kraft technischer Ausstattung und anderer moralischer Konditionierung die Welt, in der sie ankommen unterwerfen und nach eigenen Regeln umgestalten. In der digitalen Umgebung verhält es sich eher wie in einer unwirtlichen Welt. Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass die der Spielregeln Unkundigen freundlich und zuvorkommend empfangen werden oder die anderen Bewohner:innen dieser virtuellen Welt höchst altruistisch gesinnt wären.

Sprechen wir hier also über den Teil des Internets, der nicht nur fast allen Menschen aller Altersstufen zugänglich ist, sondern in dem zwischenzeitlich auch ein Großteil des sozialen Miteinanders stattfindet: Die Plattformen, sozialen Netzwerke, Games.

Die Grundannahme ist nun, dass es sich hierbei um einen gefährlichen Ort handelt.

Zur Terminologie von gefährlichen Orten lohnt ein Blick ins Polizeirecht:

Die Polizei darf die Identität von Personen feststellen (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 BPolG), wenn diese sich an sogenannten gefährlichen Orten aufhalten. Das OLG Lüneburg bemühte hier 2010 auch synonym den Begriff eines verrufenen Ortes. Gemeint sind hier solche Straßen, Plätze oder Räumlichkeiten, auf oder in denen sich „suspekte“ Menschen gehäuft aufhalten. Die Häufung solcher Menschen an solchen Orten kann, wie im Handbuch des Polizeirechts von Lisken/Denninger unter Bezugnahme auf Peters, „Strafprozess“ beschrieben, zur polizeilichen Gefahr werden. Auch die Strafprozessordnung kennt ähnliche gefährliche Orte. § 104 Abs. 2 StPO benennt – im Zusammenhang mit der Durchsuchung solche, „die der Polizei als Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter Personen, als Niederlagen von Sachen, die mittels Straftaten erlangt sind, oder als Schlupfwinkel des Glücksspiels, des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels oder der Prostitution bekannt sind“ – dort darf ohne Beschränkung nämlich auch zur Nachtzeit durchsucht werden.

Das Internet ist nun vermutlich kein vollständig verruchter Ort – aber es lässt sich festhalten, dass sich dort Menschen aufhalten, die die hier in Rede stehenden Plattformen und Kanäle aufsuchen, um kriminelle Handlungen zu begehen.

Während das Polizeirecht für die Abwehr von Gefahren an solchen Orten also Möglichkeiten vorsieht und der Polizei Befugnisse einräumt, die sie an anderen Orten so nicht hat oder die Strafprozessordnung solche Orte von ansonsten auch verfassungsrechtlich gebotenen Schutzvorschriften (hier: Durchsuchung zur Nachtzeit als unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 13 GG, es sei denn….. – vgl. § 104 Abs. 2 StPO) ausnimmt, scheint das Internet ein El Dorado für Kriminelle zu sein.

Gefährliche Orte kann man – oder, wenn man auf Eltern und andere wohlmeinende Zeitgenoss:innen hört – soll man tunlichst meiden. Denn wer sich in Gefahr begibt, könne darin umkommen.

Wie der Vergleich mit der realen Welt zeigt, hat sich der Gesetzgeber viel Mühe gegeben, um die Gefahren, die von solchen Orten ausgehen – Hoffman-Riem schrieb in der JZ 78/337 in Abgrenzung zur sonst im Polizeirecht üblichen Terminologie des Störers von einer Ortshaftung – wirksam abwehren zu können. Im Digitalen jedoch scheint an dieser Stelle weitestgehend ein rechtsfreier Raum zu bestehen.

Das bedeutet, dass die Abwehr von Gefahren oder gar die Verfolgung von Straftaten im Digitalen um einiges schwerer zu sein scheint, als wie in der realen Welt.

Ist die digitale Welt nun eine schöne Welt?

Sie ist auf alle Fälle eine, in der die Menschen Gefahren ausgesetzt sein können und in der die Regeln, nach denen das Zusammenleben organisiert ist, sich von denen in der realen Welt deutlich unterscheiden. Die digitale Welt ist eine, in der – anders als an den verrufenen Orten im realen Leben – nicht damit zu rechnen ist, dass eine Polizeistreife in der Nähe sein könnte oder zumindest schnell vor Ort. Die digitale Welt ist vielmehr geprägt davon, dass eine staatliche Ordnungsmacht nicht sichtbar ist und an deren Stelle vielleicht Plattformregeln oder Moderatorenrechte treten – oder aber allenfalls der Griff zur Selbsthilfe mittels „Blocken“ und „Melden“ bleibt – letzteres meist mit ungewissem Ausgang.

Hinzu kommt nun, dass diese neue Welt auf Kommunikation und Interaktion aufgebaut ist. Mangels anderer Möglichkeiten, wie sie in der realen Welt allgegenwärtig sind, kommt der Kommunikation im Netz eine herausragende und entscheidende Bedeutung zu. Heißt das aber nun, dass die Kommunikation im Netz gefährlich ist oder bedeutet dies, dass die Kommunikation im Netz besonderen Gefahren ausgesetzt ist? Oder ist der darüber liegende Gedanke, dass Gefahren im Netz sich kommunikativ verwirklichen können, entscheidend, wenn es darum geht Strategien für Sicherheit zu entwickeln? Diese Fragen bekommen insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Nutzer:innen des Internets immer jünger werden eine zusätzliche Brisanz.

Deswegen werde ich demnächst meine Gedanken hierzu in einem weiteren Text weiterspinnen. Bis dahin freue ich mich auf einen regen Austausch – gerne in twitter-threads zum Thema. Bis bald!

—- to be continued ——-

Veröffentlicht von Roland Hoheisel-Gruler

Volljurist// Mediator // Dipl. Forstwirt (univ.)//Hochschullehrer

Ein Kommentar zu “Schöne digitale Welt?

Kommentare sind geschlossen.

%d Bloggern gefällt das: