Die Erfahrungen, die die Menschen derzeit im Vereinigten Königreich mit den Folgen des Brexit machen müssen, hätten selbst die größten Kritiker der Brexitiers in der Dramatik nicht für möglich gehalten.

Hier kommt nun der link zu einem Text, der sich mit den Hintergründen befasst und interessanterweise schon kurz nach dem Referendum geschrieben worden war.
Quelle: The Science Behind Political Nostalgia, False Memory, and Brexit | HuffPost UK
Die Autorin Dr. Julia Shaw ist Kriminalpsychologin und befasst sich mit Gedächtnisforschung. Aus diesem Grunde befasst sich der Text nicht mit den politischen Hintergründen, sondern vielmehr mit den psychologischen Aspekten des Wahlverhaltens in der Abstimmung.
Sie arbeitet hier heraus, dass ausgehend von der Analyse des gegenwärtigen Zustandes, der als unbefriedigend empfunden wird, der Blick zurück geht in vermeintlich bessere Zeiten.
Die Psychologie nennt diese Wahrnehmungsverzerrung „rosy retrospection“. Damit ist gemeint, dass sich die Bewertung von Vorgängen in der Vergangenheit verklärt – wie wenn der Blick zurück durch eine rosarote Brille erfolge.
Die Autorin stellt die hierfür maßgeblichen Mechanismen anschaulich dar.
Losgelöst vom Ausgangspunkt des Artikels – dem Brexit – sind die Überlegungen auch in Mediationsverfahren von Bedeutung. Hier wie dort haben wir eine Konfliktsituation, in der ein aktueller Zustand als unbefriedigend erlebt wird. Der Drang danach, diesen Zustand zu verbessern, ist den Konfliktparteien immanent. Dabei gilt es zwar, einen Blick nach vorne zu werfen und bedürfnisorientiert Lösungen zu erarbeiten. Für die Bewertung von Alternativen und Kommunikation von Bedürfnissen bedarf es aber eines Kriteriums. Dieses liegt nicht objektiv vor, sondern ist in der Psyche der Konfliktparteien tief verwurzelt.
Nun verhält es sich aber auch so, dass Menschen bei der Bewertung von Chancen, Risiken, Möglichkeiten, Bedürfnissen, Positionen usw. auf ihren eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Nichts ist näher und vertrauter als die eigenen Erfahrungen in bestimmten Situationen. Nun kommt der rosy retrospection bias ins Spiel: Das menschliche Gedächtnis erinnert sich eher an Gutes denn an Schlechtes und verklärt die Mechanismen, die Schwierigkeiten in der Vergangenheit zu bewältigen halfen.
Im Mediationsverfahren bedeutet dies, dass Anker, die in Erfahrungen aus der Vergangenheit gesetzt werden, nicht unhinterfragt hingenommen werden. Baut die geäußerte Bedürfnislage auf rosigen Vorstellungen der Vergangenheit oder ist sie tatsächlich belastbar`?
Das verlangt im Mediationsprozess einiges an Fingerspitzengefühl, hilft aber, tatsächlich tragfähige und zukunftsgewandte Lösungen zu erarbeiten und den verlockenden, aber trügerischen Schein der Vergangenheit als solchen zu benennen und dann außen vor zu lassen.